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Alt 27.02.2009, 21:55
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Blume68 Blume68 ist offline
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Standard AW: Leben - nach dem Abschiednehmen?

Ach Mama,

ein Jahr ist es heute her, daß ich von deiner Diagnose erfuhr. Der Arzt sagte es mir am Telefon, weil ich ihn sehr bat, offen zu sein. Ich hatte genau herausgehört, daß es etwas Schlimmes war, als er drängte, du müsstest möglichst sofort zu weiteren Untersuchungen ins Krankenhaus. Du wolltest nicht, alles andere bitte, aber kein Krankenhaus!
(Hätte ich damals gewußt, was deine Aversion gegen das Essen und die Abmagerung zu bedeuten hatte, dann hätte ich viel eher Druck gemacht - das werfe ich mir heute noch vor!)
Ich sagte ihm, wenn ich dich überzeugen wolle, müsse ich wissen, worum es ginge, und er meinte, das sei eigentlich nicht der richtige Weg...erst die Angehörigen zu informieren...aber er spürte wohl, daß es nicht falsch war....("Ich habe eine schlechte Nachricht für Sie...")
Es war ein unermesslich schmerzlicher Schock, als er mir von den Lebermetastasen berichtete – da wussten wir noch nicht, welche Art Krebs es war. Und doch war es gut, daß er sich mit mir abstimmte, damit ich dich seelisch stützen und nach den Untersuchungen bei dir sein konnte.
Andere hätten so etwas lieber mit sich allein ausgemacht – du nicht, und das wußte ich. Wir standen uns schon immer so nah.
Es war eine Horrorzeit, bis die genaue Diagnose feststand, und du erfuhrst, wie man das Biest nannte, das sich in dir ausgebreitet hatte.
Quälende Tage, die mit Fragen gefüllt waren, die auch ich noch nicht zu beantworten wußte. Tage, in denen ich nicht nur um meine Fassung, sondern auch um positives Denken bemüht war – immer in der Hoffnung, es sei doch ein Irrtum! Irreale Tage, irreale Gefühle. Ehe nichts genaues klar war, wollte der Arzt dir nur sagen, was er gesehen hatte – dunkle Flecken auf der Leber - aber das konntest du nicht verstehen, denn auf die Idee von „Metastasen“ kamst du nicht, und er nahm das Wort nicht in den Mund – noch nicht. Was war richtig? Was war falsch? Wer dich kennt, weiß, es war in deinem Sinne, wie er, wie wir gehandelt haben. Es war nur so fürchterlich schwer...allein durch den Funken Hoffnung auf eine Fehldiagnose war es für mich erträglich.
Den Film „Ein Herz und eine Krone“ kann ich nie mehr anschauen, ohne an einen dieser Abende zu denken...einen gemütlichen Abend, an dem wir so herzlich gelacht haben – und an dem meine Seele laut weinte. Ich sehnte mich so sehr nach Offenheit, damit ich deinen Fragen nicht mehr ausweichen mußte, und gleichzeitig wehrte sich alles in mir dagegen, sperrte sich die Hoffnung gegen das, was unausweichlich auf uns zukommen sollte.
Drei Tage später war ich bei dem Gespräch dabei, als der Arzt das Wort „Krebs“ aussprach. Hörte seine ehrlichen, aber auch Hoffnung vermittelnden Worte. Er hat sich sehr viel Zeit genommen, und ich habe ihm verstohlen dankbar zugenickt. Vor allem dafür, daß er dir Mut gemacht hat. „Es gibt immer Möglichkeiten“, sagte er, und er wußte es aus Erfahrung, denn er kam von der Station, auf die du später verlegt wurdest. Aber er konnte damals natürlich nicht sagen, wie schnell die Krankheit tödlich verlaufen würde...

Es ist wohl kein Zufall, daß ich heute nacht wieder von dir geträumt habe. Unruhige, beängstigende Träume. Und tagsüber war alles wieder da, und mit den Gefühlen die ungläubig-erstaunte Frage: ist diese Diagnose wirklich erst ein Jahr her? An solchen Tagen ist es wieder so unwirklich, wie es damals der Gedanke war, du wärest irgendwann nicht mehr unter uns...

Ich mußte es einfach noch einmal aufschreiben, sonst würde es genau so unwirklich bleiben...auch jetzt noch.

Ach Mama, du fehlst mir sehr!

dein Blümchen
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In uns allen findet sich die Quelle höchster Weisheit -
die Quelle der Liebe.
(Thich Nhat Hanh)

Geändert von Blume68 (27.02.2009 um 22:11 Uhr) Grund: (manche Gedanken entwickeln sich...)
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