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Alt 02.11.2003, 22:57
Gast
 
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Standard AM4L 5q-

Liebe Claudia,

ich war gestern auch auf dem Friedhof, so wie viele andere auch. Mein Vater hatte meiner Mutter morgens schon eine Rose gebracht. Sie hat ja "nur" ein Urnengrab, eine Grabplatte im Rasen. Daneben haben wir ein Platikröhrchen in die Erde gesteckt, und es ist immer mindestens eine Blume drin, oft auch mehr.
Ja, ich war traurig. Auf dem Friedhof denke ich immer an die Trauerfeier, an die ersten Tage nach ihrem Tod. Denke daran, wie wir alle in der Kapelle saßen. Aber ich war gestern nicht trauriger als sonst, weil Allerheiligen war. Sogar eigentlich im Gegenteil. Es waren so viele Leute da, überall sah ich Gestecke und viele Kerzen brannten, das hatte etwas sehr schönes. Ich mag es, wenn die Kerzen brennen. Dann denke ich darüber nach, wer da wohl am Grab war, und an den Verstorbenen gedacht hat.
Aber ich hoffe, du verstehst mich jetzt nicht falsch - ich find es nicht blöd, dass dieser Tag für dich eine besondere Bedeutung hat. Und wenn er dir geholfen hat, einfach wieder ein Stück deiner Trauer herauszuweinen, dann hat er ja wirklich seine Berechtigung. Mir geht es einfach nur anders. Über den Computer kommen manche Dinge einfach schnell mal falsch rüber, und ich möchte ja nicht, dass du böse auf mich wirst, weil du den Eindruck bekommst, ich urteile über dich!! Tu ich nicht!! :-)
Prozessionen gibt es bei uns wohl nicht - dazu ist unsere Stadt zu klein und die Kirche nicht bedeutend genug. Aber in Süddeutschland gibt es sowas wohl viel, und es muss wunderschön sein. Hier in Münster, wo ich studiere, könnte es sowas auch geben, die Stadt ist ja sehr katholisch. Vielleicht bekomme ich nächstes Jahr sowas mal mit.

Ja, manchmal ist es wirklich befreiend, mal wieder richtig zu heulen. Das tue ich meistens nur, wenn ich die Lieder von Mamas Trauerfeier auf CD anhöre. So sehr viel weine auch ich nicht, aber manchmal schießen mir dann doch von einer Sekunde auf die andere die Tränen in die Augen, weil mir irgendein Gedanke durch den Kopf geht - neulich passierte mir das sogar im Büro, da bin ich erstmal auf die Toilette geflüchtet.

Ich habe meine Mutter ja auch noch im Sarg gesehn - ganz kurz, aus einiger entfernung. Aber dieses Bild habe ich nicht mehr besonders im Kopf - ja, es wird sogar irgendwie "unscharf". Allerdings denke ich oft an Mama, wie sie während ihrer Krankheit war, und was da alles passierte. Genauso oft erinnere ich mich aber auch an sie, wie sie "wirklich" war, früher, als sie gesund war. Meine Schwester hat mir folgendes erzählt: wenn die schlimmen Bilder aus Mamas Krankheit zuviel werden und sie belasten, dann stellt die sich vor, dass Mama zu ihr kommt, und all die schlechten Bilder in einen Koffer packt, und zu ihr sagt "die brauchst du jetzt nicht mehr. Mir geht es jetzt gut, und ich will, dass es dir auch gut. Belaste dich nicht mit diesen Bildern" Und das scheint ihr ganz gut zu helfen.
Ich hoffe, dass ich es mit der Zeit auch schaffen werde, mich von den schlimmen erinnerungen nicht mehr mzwischendurch runterziehen zu lassen. Aber im Moment gibt es Dinge, die mir immer noch das Herz bluten lassen!

Aber es ist wirklich interessant, was du da über deine Oma und deine Tante geschrieben hast. So ist eben jeder Mensch anders. Ich wünsche deiner Oma sehr, dass auch sie die schönen erinnerungen wieder "nach vorne" holen kann.

Was die Mutter deines Freundes da gesagt hat, finde ich sehr schön! Ich habe auch mal irgendwo gehört, dass die Verstorbenen ihrer eigenen Beerdigung beiwohnen können. Daran habe ich während Mamas Trauerfeier gedacht und mich gefragt, was sie wohl deken wird, wenn sie wirklich da ist. Ich bin mir sicher, dass sie die feier schön gefunden hätte/hat. Alle haben gesagt, die Feier sei wunderschön gewesen, was besonders dem Pfarrer und der wunderschönen Musik zu verdanken war.

Ich werde in das Buch erstmal nur meine Träume schreiben, und dann sehe ich ja, ob ich das Bedürfnis habe, noch mehr zu schreiben. Weißt du, wann schreiben wirklich Sinn macht? Wenn du irgendetwas hast, über das du immer und immer wieder nachdenkst. Ich hatte nach dem Tod meiner Mutter furchtbare Schuldgefühle. Ich habe die Gründe dafür aufgeschrieben, und alles, was mir leid tut. Ich habe es wohl schon mal geschrieben: diesen Brief, in dem ich auch um Verzeihung bat, hat meine Mutter mit in den Sarg bekommen.
Wenn du Schuldgefühle hast, oder irgendwelche Bilder, die dich nicht loslassen, dann ist es vielleicht wirklich hilfreich, sie aufzuschreiben, weil man sie dann besser loslassen kann.
Vielleicht sollte ich darüber auch nochmal nachdenken.

Ach Claudia, ich schicke dir eine Riesen - dicke Umarmung! Manchmal ist wirklich alles einfach zum heulen, aber ich glaube auch, dass meine Mutter und dein Papa ab und zu ein liebvolles Auge auf uns haben. Und wir irgendwann wieder bei ihnen sind.

Für heute alles Liebe und viele Grüße!

Katrin
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