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Alt 02.10.2008, 12:51
Annika0211 Annika0211 ist offline
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Registriert seit: 06.02.2008
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Standard AW: Mein Papa hat Leber und Lungenkrebs

Hallo, Ihr Lieben.
Ich möchte gerne was zu Jacquelines Beitrag schreiben.
Es tut mir sehr leid, dass diese Krankheit ein weiteres Schicksal mit deinem Papa fordert - es ist von Tag zu Tag einfach nur erschreckend, wenn man liest, das wieder ein geliebter Mensch betroffen ist.

Ich kann das, was du geschrieben hast, nachvollziehen.
Daher möchte ich dir gerne etwas von meiner Familie schreiben, um dir vielleicht ein ganz winziges Stück deiner Gedanken in eine positivere Richtung zu bringen.

Sorry, wenn ich jetzt viel schreibe, aber ich möchte gerne, dass du meine Erfahrung verstehen und nachvollziehen kannst - weil sie dir helfen soll.

Die Diagnose Prostatakrebs wurde meinem Papa in 1999 mitgeteilt, ab da befand er sich in Behandlung und hat mit unendlich viel Geduld seine Therapien, weitere Tumorerkrankungen und OPs ertragen.
Mein lieber Papa trat seine letzte Reise hinter den Horizont friedlich und mit einem Lächeln im Gesicht am Silvestermorgen 2007 im Alter von 76 Jahren an... genau eine Woche vor seinem 77. Geburtstag.

"Übrig" sind seine 5 Kinder im Alter von 38 - 52 Jahren und unsere Mama, die mit 78 gesundheitlich topfit ist.
Um uns Kinder musste sich niemand Gedanken machen. Unsere Mama hatte mir (der Jüngsten) gegenüber immer ihre Angst gestanden, eines Tages ganz alleine in dem großen Haus zu sein, was sie mit Papa vor 40 Jahren gebaut hatte.

Als ich mich anfangs mit der Diagnose auseinandersetzte, ging es mir wie dir. Ich hatte Angst durch und durch, Zorn und Wut, warum grade er daran erkranken musste und ich war überhaupt nicht richtig informiert, was das alles überhaupt für das Leben meines Paps bedeutete.
Ich war einfach nur hilflos.

Mit den Jahren macht man sich schlauer und versucht sein Bestes, um den lieben Angehörigen zu unterstützen und immer für ihn da zu sein.
Papas Lebensqualität litt seit dem Sommer 2007 und ab da verschlechterte sich sein Zustand zusehends. Ich war täglich nach meiner Arbeit bei meinen Eltern, schaffte Ablenkung durch mein Gequassel, wir diskutierten, lachten, weinten und zeigten uns gegenseitig, wie sehr wir uns lieb haben.
Und dennoch hatte ich immernoch das Gefühl, hilflos wie ein kleines Kind zu sein... dumm, nichtsahnend, nichtswissend. Abgesehen von meinem Papa konnte ich meiner Mama nur eine Stütze sein, indem ich ihr seelisch beistand, die 24-Stunden-Tag mit Papas Krisensituationen irgendwie zu bewältigen. Ich versuchte ihr zu erklären, warum der Papa so reagierte, wenn er genervt war, warum er still da saß, warum er vor sich hinstarrte.
Darüber war ich belesen und konnte tolle Tipps geben. Aber dann fuhr ich in meine Wohnung und schloss die Tür. Meine Mama war mit Papa alleine. Sie hat ihn gepflegt, ihm geholfen, wo sie konnte - und sie hat das so toll gemacht! So toll, dass sie dabei fast seelisch und körperlich zugrunde gegangen wäre.

Du fragst dich, was aus deiner Mama wird, wie sie das verkraftet und schreibst, dass dich die Sorgen um deinen Papa um den Verstand bringen...
Sit Papas Tod bin ich täglich bei meiner Mama gewesen, habe mich um alles gekümmert, was mit Papas Tod zusammenhing, habe mich um sie gekümmert, um ihre Bedürfnisse (Gespräche, Einkäufe, sonstige Fahrten).
Mama war sehr, sehr nervös, hatte sehr viel Angst. Sie hatte Angst vor der Einsamkeit, vor den Abenden, an denen sie ohne Papa auf dem Sofa liegt. Sie war ein nervliches Wrack.
Der seelische Zustand meiner Mama belastete mich so sehr, dass ich mit ihr ernsthafte Gespräche führte, wie sie sich ihre Zukunft vorstellt.
Ich dachte, ich müsste zu ihr ziehen, damit sie nicht alleine ist.
Sie genoss natürlich, dass ich täglich bei ihr war - und sie ertrug geduldig, dass mein Nervenkostüm dadurch immer dünner und dünner wurde.
Ich kam an einen Punkt, an dem ich ihr sagte, sie könnte sich mit ihren Freundinnen treffen, sich der Senioregruppe anschließen, die und den besuchen und sich den Tag mal selbst gestalten.
Ich fand mich unglaublich hart. Doch ich konnte nach meinem Job und meinem seelischen Zustand (ich trauerte ja ebenso irgendwie) nicht ständig ihr Entertainer sein.
Mama sah das ein, wollte auch, dass mein Leben mit meinem Partner für mich wieder stattfindet und dass sie sich selbst was zutraut und aus ihrem Schneckenhaus rauskommt.
Von Tag zu Tag hat sich ihr Selbstbewusstsein verbessert.
Und heute, 9 Monate nach dem Tag X, muss ich sie fragen, ob sie überhaupt zuhause ist, wenn ich sie besuchen möchte
Ich habe mir ein paar Tage Auszeit in der Woche genommen, die ich für mich genießen möchte, sie hat ihre Termine in den verschiedenen Gruppen, schließt sich immer mehr Leuten an und unternimmt viel.
Sie weiß, dass sie ihre Zeit sinnvoll gestalten will, solange sie noch so fit ist und Interesse daran hat.

Liebe Jacqueline. Ich möchte dir damit zeigen, dass deine Gedanken über deine Mama berechtigt sind. Aber im Vordergrund steht jetzt dein Papa, der dich und deine Familie am Nötigsten braucht.
Wenn deine Mama vergleichbar fit ist wie meine - dann denke vielleicht in deinen Sorgen um deine Mama an die meine - dann siehst du, dass es zu schaffen ist, auch wenn der Verlust sie sehr, sehr hart trifft.

Ich hoffe, ich konnte dir einen Einblick in unser neues Leben nach Papas Reiseantritt geben und dir damit zeigen, dass das Leben nach einem solchen Verlust für deine Mama und dich irgendwann auch wieder bunter sein wird.

Ich wünsche dir ganz viel Kraft, Energie, Geduld und Mut, damit du so gut es dir möglich ist, für deinen Papa dasein kannst.
Es ist eine schwere Zeit für alle - ob betroffen oder angehörig -, doch versuche, die schöne Zeit, die ihr miteinander haben könnt, zu nutzen.
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Alles Liebe.
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Papa, für immer in meinem Herzen - 31.12.2007
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