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Alt 15.09.2008, 08:41
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Petra_S Petra_S ist offline
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Registriert seit: 28.09.2005
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Standard AW: Prognose 6 bis 12 Monate

Liebe Saphra,
zuerst - nein, ich mißverstehe kein Wort von dem was du geschrieben hast, im Gegenteil ich verstehe nur zu gut, vielleicht auch manche Dinge die du nicht geschrieben hast. Ich weiß was es heißt einen alkoholkranken/ -süchtigen Angehörigen zu haben. Es ist schwer etwas voraus zu sagen, wie er reagieren würde, wenn er die Wahrheit erfährt. Du schreibst er ist hoch intelligent. Das ist schon mal eine super Voraussetzung. Aber er ist auch hochdepressiv, mit gutem Grund, wie du schreibst.

Als mein Freund die Diagnose Peniskarzinom mit 37 Jahren bekam, war er gerade im letzten viertel seiner Langzeittherapie Alkoholentwöhnung. Ich habe gedacht " nein DAS macht er nicht mit, er wird sich wohl selbst umbringen...!" Mit 37 u.a. eine Amputation, mit geringen Überlebenschancen, wir waren gerade mal vier Jahre zusammen und wollten endlich leben. Ich glaube, ich war mir sehr sicher, dass er wieder trinken würde und sich letztendlich in einem Deprischub das Leben nehmen würde. Darüber konnte ich nicht mal böse sein, wenn ich sein bisheriges Leben betrachtete. Er hat es nicht getan, er hat viereinhalb Jahre gekämpft gegen den Krebs undendlich viel ausgehalten - schlimme, schlimme OPs, Betrahlung bis aufs wunde Fleisch, Chemo ... TROCKEN ohne einen Tropfen bis zur letzten Stunde!!! Er wußte, wenn er wieder trinken würde, wäre es sein Todesurteil, dann wäre er nicht mehr raus gekommen, hätte Sinn und Kraft verloren zu kämpfen, er war hochgradiger Spiegeltrinker - ungerecht böse oder giftig war er aber nie, es hat sich immer gegen ihn selbst gerichtet. Gut, ich schreibe das nur, um zu zeigen, dass man nie genau wissen kann wie ein Mensch reagiert, da man z.T. aus dem schlussfolgert, wie man den Menschen bisher kennengelernt hat (aber dieser Mensch bekam noch nie diese Diagnose - es sind also keine wirklichen Erfahrungswerte vorhanden) und zum anderen aus dem, wie man selbst denken und fühlen würde..., man glaubt das man es würde, aber genau kann man es auch erst wissen, wenn man drin steckt im Schlamassel.

ICH würde mir vermutlich überlegen mit ihm die Situation zu besrechen. Das erfordert aber, das man sich selbst sicher ist, die möglichen Konsequenzen tragen zu können. Würde ich vermuten, er weiß was los ist, KANN es eine Entlastung auch für ihn sein, wenn er endlich mit dem Versteckspiel und dem verdrängen seiner eigenen Ängste aufhören kann. Ahnt er wirklich garnichts, kann es sein, dass dies der "i-Punkt" auf dem Ganzen ist und er sich tatsächlich das Leben nimmt. Die Frage ist natürlich,ob die Liebe noch da ist, vielleicht verschüttet unter all dem, aber noch da. Dann wäre für mich da schon noch eine Chance, dass ich meinen Mann erreiche mit den richtigen emotional ehrlichen Worten. Ich würde nicht erwarten und auch nicht verlangen, dass er auffhört zu trinken, auch Verständnis würde ich signalisieren - ABER ich würde fragen ob er sich vorstellen kann den Weg nun weiter zu gehen in Offenheit, Füreinander und den wichtigen Dingen im Leben, noch etwas "Nettigkeit zueinander" zu leben.

Wenn ich es nicht sagen würde,wüßte ich von mir, dass ich irgendwann mal wütend werden würde, wenn mal wieder was Blödes durch den Alk passieren würde und in dieser Wut könnte es sein, dass ich etwas äußern würde von wegen "die kostbare Lebenszeit in sinnlosem Streit zu vergeuden". Damit wäre es dann raus. Ich denke, man musss sich klar werden, ob man sich auf die Liebe besinnen und ehrlich noch wieder einiges "in Ordnung" bringen will, was in den letzten Jahren schief gelaufen ist oder ob man sich bis zum Schluss was vormachen will und sich innerlich aber nicht mehr wirklich begegnet. Was schmerzhafter ist weiß ich nicht, wahrscheinlich sogar, die Liebe wieder zu finden, um sie dann wieder gehen lassen zu müssen... Oh, du hast ein schweres Los! Vielleicht würde ich in einem Brief alles schreiben, auch dass ich verstehen könnte, wenn er gehen wollte, wenn er es nicht mehr aushält, aber, dass ich gern noch die wirklich wichtigen Dinge in der Partnerschaft wieder herausstellen und auch für ihn fühlbar machen möchte. Ach nein, man kann es einfach nicht sagen, gesprochene Worte sind mit all ihrer akustischen Feinheiten, auch die optischen Signale können sehr wichtig sein, wieviel an Gefühlen beim Gegenüber ankommt. Ob man dazu die Kraft hat? Ich weiß es nicht. Es kommt wohl auch auf die Beziehung an. Wie ich oben schrieb, ich kann es nur theoretisch vermuten, dass ICH so handeln würde, ob das dein Weg sein kann weiß ich nicht. Ich habe meinem Freund damals gesagt, dass ich es verstehen könnte, wenn er den Schmerzen nicht standhalten kann und geht, wann er es für richtig hält. Er ist nicht von selbst gegangen! Aber ich habe oft nicht gewußt, ob ich ihn das letzte Mal gesehen habe.

Liebe Grüße erst mal, wünsch dir viel, viel Kraft und Liebe in dir ! Petra

Geändert von Petra_S (15.09.2008 um 09:53 Uhr) Grund: mißverständlich ausgedrückt - hoffentlich beseitigt
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