Einzelnen Beitrag anzeigen
  #20  
Alt 01.09.2003, 12:13
Gast
 
Beiträge: n/a
Standard Ich muss doch etwas tun !!?

Hallo an Tommy und alle anderen,

mit solchen Aussagen, Tommy, wann ein Mensch stirbt, wäre ich etwas vorsichtiger. Das läßt sich überhaupt nicht vorhersagen. Bei meiner Mama kam der Todeszeitpunkt an sich so schnell, daß ich es fast nicht begriffen habe. Sie lag zwar schon im Koma, aber unsere Ärztin sagte uns, das könne sich auch über Wochen hinziehen. Wenige Minuten später versagte ganz plötzlich ihr Herz. Sie röchelte nur kurz, ein- oder zweimal, öffnete noch einmal die Augen, lächelte - und dann war es vorbei. Das waren vielleicht eine oder zwei Minuten, nicht länger.

Was die Aufgabe betrifft, die unsere Eltern zu erfüllen haben: Das hat wenig damit zu tun, wann wir ihre Aufgabe für beendet halten. Wenn das Verhältnis stimmt, brauchen wir unsere Eltern, solange sie am Leben sind. Ich bin 27 Jahre alt und vermisse meine Mutter immer noch - jeden Tag. Und es gibt immer wieder Situationen, in denen ich ihren Rat, ihren Zuspruch oder einfach ihre Anwesenheit gebrauchen könnte. Das Alter ändert nichts daran. Der Verlust bleibt immer schmerzlich, nur daß man vielleicht über das Leben allgemein etwas anders denkt, je älter man wird. Als meine Mutter starb, war sie 47 und stand kurz vor ihrem Examen (sie hatte nochmal studiert). Auch sie hätte wohl nicht daran gedacht, daß ihre Aufgabe auf dieser Welt schon erledigt sein könnte. solange wir hier sind, gibt es immer eine Aufgabe für uns. Wann unsere Zeit vorbei ist, haben wir nicht zu entscheiden.

Lieber Tommy, du meinst, Dich von Deinem Vater nicht wirklich verabschiedet zu haben. - Ich denke, dafür gibt es keine Regeln, die besagen, man müsse es so oder so anstellen. Jeder, der einen geliebten Menschen verliert, befindet sich in einer Grenzsituation, die man nicht wirklich planen kann. Ich habe damals einfach nur noch funktioniert, irgendwie, habe einfach das getan, was ich in dieser oder jener Situation für richtig gehalten habe. Es bleibt meistens nicht viel Zeit für ein Ausgiebiges Abwägen - und ich war auch schon so am Ende mit meinen Kräften und Nerven, daß ich kaum noch imstande war, klare Gedanken zu fassen. Ich wollte nur eins: einfach da sein, meine Mutter nicht alleinlassen. Ich weiß auch nicht, wieviel sie davon kurz vor ihrem Tod noch mitbekommen hat, aber sie wußte, daß ich da war, und das hat sie sehr beruhigt. Mehr konnte ich ja nicht für sie tun. Als sie dann friedlich eingeschlafen war, fiel mir für Momente eine Zentnerlast von der Seele. Ich hätte alles darum gegeben, wenn sie wieder gesund geworden wäre, aber da das nicht möglich war, habe ich dafür gebetet, daß es wenigstens schnell vorbei sein möge, damit sie nicht lange leiden muß. Meine starke Mama, die immer mich gehalten und beschützt hatte, plötzlich selber so hilflos wie ein Baby sehen zu müssen, hat mir den Rest gegeben, und so fiel es mir am Ende auch leichter, ihren Tod anzunehmen. Warum sie ausgerechnet so jung sterben mußte, werde ich wohl auch nie verstehen, aber ich frage auch nicht mehr danach. Ich bin aber im Grunde davon überzeugt, daß nichts im Leben ohne einen bestimmten Grund geschieht, auch wenn ich den Sinn hinter solchen Geschehnissen nur schwer entdecken kann.

Wie auch immer: Ich wünsche uns allen, daß wir stark genug sind, unseren Weg zu suchen. Vielleicht finden wir ihn dann auch irgendwann ohne den Menschen, den wir hergeben mußten.

Liebe Grüße an alle,
Bettina
Mit Zitat antworten