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Alt 31.08.2003, 13:51
Gast
 
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Standard Ich muss doch etwas tun !!?

Lieber Jürgen,

all diese Fragen, die Du Dir in diesen Tagen stellst, sind mir auch sehr vertraut, und auch der Zustand, in dem Du Dich nach Deinen Beschreibungen im Moment befindest. Auch meine Mama hat am Schluß nur noch gestöhnt: Sie fiel in ein sog. "hepathitisches KOma" (wenn die Leber langsam aufhört zu arbeiten) und war irgendwann einfach nicht mehr ansprechbar. Ich war damals auch so entsetzt, wie rapide sich ihr Zustand immer weiter verschlechterte - sie baute innerhalb einer Woche völlig ab, jeden Tag ein bißchen mehr, man konnte wirklich richtig zuschauen. Ja, und da drängen sich bohrende Fragen auf, und vor allem immer wieder dieses "Warum?" - Warum gerade sie? Warum ausgerechnet jetzt? ...
Eine zufriedenstellende Antwort auf diese Fragen habe auch ich nicht gefunden, und ich glaube, die gibt es auch nicht. Aber einer der letzten Sätze, die mir meine Mutter vor ihrem Tod gesagt hat, lautete: "Ich weiß nicht, was das für einen Sinn hat, aber ich hoffe trotzdem, daß das alles irgendwo hinführen wird."

Ansonsten kann ich mich dem, was Marlies schreibt, nur völlig anschließen. Die Erkrankung Deiner Mama ist gewiß keine Strafe für irgend etwas, was Du getan haben sollst. Würde das Leben so funktionieren, dann gäbe es auf der einen Seite die guten, denen nie etwas zustößt, und auf der anderen Seite die "Bösen", denen nur Unheil widerfährt. Letztlich wird jeder Mensch in seinem Leben irgendwann früher oder später mit dem Verlust eines nahestehenden Menschen konfrontiert, und für denjenigen, den es trifft, ist es immer zu früh.

Die Chance zum Abschiednehmen: Ich verstehe sehr gut, liebe Marlies, was Du sagen möchtest, wenn Du schreibst, daß es letzten Endes keine Rolle spielt, ob man sich darauf vorbereiten kann oder nicht. Nun, ich kenne die andere Situation nicht. Das bewußte Abschiednehmen kann schon sehr belastend sein. Ich selber war allerdings sehr froh, daß meine Mutter und ich die Möglichkeit hatten, uns in einigen Gesprächen noch auf ein paar Dinge zu konzentrieren, die uns beiden sehr wichtig waren. Kurz vor ihrem Tod habe ich ihr beispielsweise einmal die Frage gestellt, ob sie immer gewußt hat, wie lieb ich sie habe. Schließlich läuft der Alltag oft so ab, daß man es sich ja nicht jede Sekunde zeigt, und ich wollte für mich einfach wissen, ob es ihr trotzdem immer klar war. Sie hat daraufhin gelacht und zu mir gesagt: "Ach mein Schatz, das weiß doch eine Mama." Dieser Satz (und noch ein paar andere) war mir nach ihrem Tod unheimlich wichtig, und wenn man so will, dann bestimmt er heute noch irgendwie mein Leben. Ich habe nie an der Liebe meiner Mutter zweifeln müssen und weiß, daß sie daran auch nie ernsthaft gezweifelt hat, daß auch ich ihr etwas zurückgegeben habe.
Natürlich ist der bewußte Abschied immer schwierig. Wir alle möchten doch am liebsten vor dieser Situation davonlaufen, sie wegschieben, und das ist auch völlig normal. Da muß man einfach das tun, wovon man glaubt, daß man dazu in der Lage ist. Und sich genug Zeit dafür geben. Abschied, Loslassen, das sind, wie schon angesprochen, Dinge, die oft Jahre brauchen. Doch es ist, wie Marlies auch geschrieben hat, in der Tat der Lauf der Natur, auch wenn es schwerfällt, dies zu akzeptieren. Ich schätze, das haben wir alle miteinander gemeinsam, und noch viele andere mit uns, die jemanden verloren haben.

Alles Liebe,
Bettina
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