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Alt 27.08.2003, 22:57
Gast
 
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Standard mein papa ,ein tapferer mensch

Hallo Ihr Alle,

schon komisch, ich habe diesen Tread seit Tinas Anfangsmail verfolgt, und doch bis auf ein einziges Mal noch nichts geschrieben. Komisch deswegen, weil ich eigentlich bei jedem Posting dachte, das ich selbst die „Schreiberin“ sein könnte. Heute Abend habe ich mir dann noch mal alles von Anfang an durchgelesen. (und erstaunlicherweise konnte ich bis jetzt alles lesen, ohne zu weinen) Meistens kommt das Weinen bei mir dann spätestens beim Schreiben oder beim davon Erzählen, wahrscheinlich ist das auch ein Grund, warum ich bislang nichts geschrieben habe. Bei mir ist es jetzt schon 7,5 Monate her. Seit dem 18.01. ist mein Papa weg. (Hmmm vielleicht doch keine so gute Idee mit dem Schreiben, denn die ersten Tränen kommen schon) Nach der Diagnose Darmkrebs im August vergangenen Jahres blieb uns nur noch ein halbes Jahr. Es ging ihm nach der ersten Chemo so gut und plötzlich kam der Rückschlag, letztendlich war der Tumor im Bauch größer als je zu vor. Bei Papa ging alles so schnell, eigentlich war ich überhaupt nicht darauf vorbereitet. Ich hatte immer Angst, mich dem möglichen Ende auseinanderzusetzen. Immer, wenn solche Gedanken kamen, hab ich sie ganz schnell verdrängt. Die letzten Tage musste mein Papa ins Krankenhaus. Ich glaube, dass auch für ihn das das Schlimmste war. Meine Mum war jeden Tag bei ihm, hat ihn gefüttert und gewaschen. Das Einzige was ich tun konnte, war jeden Tag anzurufen (wir wohnen 400km weit weg) Es war so traurig, ihn so verzweifelt am Telefon zu hören, ich glaube, mit das schwerste für uns beide war es, nicht vor dem anderen zu weinen. Ich höre noch heute seine Stimme: Nicht weinen Cassie, gell nicht weinen. Ich hab es eigentlich immer geschafft, aber nur solange ich den Hörer noch in der Hand hatte. Zu diesem Zeitpunkt wollte ich immer noch nicht wahrhaben, wie schlecht es um ihn steht. Jede freie Minute ins Internet, um nach Alternativen zu suchen, Krebsinformationsdienste kontaktiert etc. – bloss nicht die Hoffnung aufgeben… Zum Wochenende hin sind wir dann nach Hause gefahren – eigentlich wollte Papa das nicht, weil auch für ihn feststand, dass er wieder nach Hause kommt, er hat immer gesagt, er will an meinem Geburtstag zu Hause sein – das war der 30.01. – er hat es nicht mehr geschafft. Wir sind trotzdem gefahren. Die ganze Fahrt hatte ich schon ein ungutes Gefühl. Ich dachte ständig darüber nach, ob ich ihn die Hoffnung nehme, wenn ich plötzlich im Krankenhaus stehe – vielleicht hört sich das komisch an, aber ich denke nicht, dass er gegangen wäre ohne mich zu sehen, vielleicht hätte er weiter durchgehalten. Ich weiß es nicht, ich weiß nur noch, dass ich ihn sehen musste. Mein letzter Besuch war eigentlich nur drei Wochen her, da ging es ihm noch recht gut, da hatten die Schmerzen erst wieder angefangen. Meine Mum hatte mir schon erzählt, dass er „schlecht“ aussieht, aber ich hätte niemals damit gerechnet. Nie hätte ich geglaubt, dass ein Mensch so rapide abbauen kann. Es hat mir fast das Herz zerrissen meinen Papa so zu sehen. Ich glaube, er war erleichtert mich zu sehen. Wir waren den ganzen Nachmittag bei ihm, ich hab seine Hand gehalten, und er hat immer noch Späßchen gemacht. Dann meinte er, wir sollten doch gehen, weil er so müde wäre, und er wenig schlafen möchte. Wir sehen uns doch morgen wieder, so schnell werdet ihr mich nicht los, hat er gesagt. Ich hab ihn geküsst und ihm gesagt, wie lieb ich ihn habe. – Ich hab dich doch auch lieb, hat er gesagt. – Das war das letzte Mal, dass ich ihn sehen oder berühren konnte. Dann ging wohl alles ganz schnell. Meine Mama blieb im Krankenhaus. Nur zwei Stunden später rief sie mich an, und sagte bloß, dass sie diese Nacht bei Papa bleibt. Ich wollte sofort losfahren, aber sie bat mich zu Hause zu bleiben. Gegen 21.00 Uhr stand sie plötzlich vor der Haustür. Ich glaube in dem Moment in dem ich sie da stehen sah, ist meine Welt zusammengebrochen. Sie war da und ich wusste es ist passiert. Ich kann das alles heute noch nicht fassen – es war 1,5 Monate nach seinem 50ten Geburtstag. Die ganzen Monate danach ähneln derart euren Berichten, dass es fast unheimlich ist. Die ersten Wochen vergehen eigentlich, ohne, dass man wirklich versteht, was passiert ist. Es läuft alles weiter, aber alles nur an einem vorbei. Dann diese unheimlich tiefen Tiefs. Liebe Tina, auch ich kann mich einen solchen Abend ganz allein in der Wohnung erinnern. Man fühlt sich so unheimlich allein. Man kann eigentlich gar nicht beschreiben wie man sich fühlt, da ist nur Leere – soviel Leere, die so unendlich weh tut. Man lernt die Worte „nie wieder“ zu deuten, und kann doch nicht verstehen, was das alles bedeuten soll. Man sitzt da, weint, und möchte eigentlich nur schreien, „Komm wieder und lass mich nicht hier allein“ . Mittlerweile weiß ich, dass die Abstände zwischen den ganz tiefen Tiefs länger werden. Und trotzdem ist es jeden Tag präsent. Es ist lange der erste Gedanke beim Aufwachen und der letzte beim Einschlafen. Aber ich kann euch sagen, dass man lernt, damit umzugehen. Für mich ist mein Papa nur körperlich weg. Ich hab ihn immer noch…

Ohjeh, eigentlich wollte ich was Aufbauendes schreiben – denn es ist wirklich so – auch wenn die Zeit nicht alle Wunden heilt, so lässt sie sie doch zu Narben werden. Irgendwie kann ich jetzt nichts mehr schreiben – auf einmal ist alles wieder da, ich vermiss ihn so, warum musste das passieren…

Sorry, werde wohl wieder tagsüber schreiben, da geht das alles irgendwie einfacher.

Liebe Grüße und eine gute Nacht an Alle,

Cas
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