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Alt 10.09.2007, 14:10
Stefans Stefans ist offline
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Registriert seit: 27.01.2007
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Standard AW: So tun als ob alles o.k. ist!?!?

Hallo Monja,

Zitat:
Zitat von monkeponke Beitrag anzeigen
Eure Antworten haben mich von meinem Selbstmitleid abgelenkt und mir neue Aspekte zum Nachdenkengegeben.
Ich habe diesen threead erst mit einiger Betroffenheit - und mit vielen Parallelen zu meiner Frau (auch BK) und mir - gelesen. Und ganz wichtig vorab: ich finde keineswegs, dass du selbstmitleidig bist. überhaupt nicht!

Vielem, was andere in diesem thread schon geschrieben haben, kann ich nur zustimmen. Z.B. den "Sauger-" oder "Vampir-Persönlichkeiten", die nie etwas geben, sondern nur nehmen. Und dem Typ von Persönlichkeit, zu dem du vielleicht gehörst (musst du selbst wissen, ich will um Gottes willen nicht 'fernpsychologisieren'), und zu dem meine Frau mit Sicherheit gehört: der, der sich schon lange immer hat ausnutzen lassen. Und der das geschafft hat, solange er voll einsatzfähig war. Und dem das vielleicht auch geschmeichelt hat. Als 'power-Mensch' für andere da zu sein, kann ja auch befriedigend und schön sein.

Nur kommt dann in einer Lebenskrise der Punkt, wo mensch merkt: ich schaffe das nicht mehr. Ich war immer für andere da und habe mich um sie gekümmert. Jetzt habe ich keine Kraft mehr - und brauche jemanden, der sich um mich kümmert. Und natürlich ist dann keiner da. Weil du für die anderen 'ganz plötzlich' eine andere Persönlichkeit bist. Und weil natürlich niemand nachvollziehen kann, dass man z.B. Knochenschmerzen nicht sieht und von aussen nicht begreifen kann, wie schlecht es dir geht. Das ist IMHO meist gar nicht böswillig gmeint, sondern liegt in der menschlichen Natur: die eigene Erkältung ist zehnmal schlimmer als der BK eines anderen. Weil be-greifen IMHO nur über persönliches Erleben geht. Und niemand, der deine Erlebnisse nicht teilt, dich wirklich verstehen kann.

Dass dein Umfeld Schwierigkeiten damit hat, dass Monja plötzlich 'anders' ist und (wie böse!) EGOISTISCH wird, ist klar. Und natürlich werden die Menschen versuchen, das so lange wie möglich zu ignorieren - und dich weiterhin so mit allem und jedem zu belasten, wie sie das von früher bei dir gewohnt sind...

Das kenne ich von meiner Frau und mir nur zu gut. Wir sind beide seit ewig "depressive Persönlichkeiten". Auch ich habe meine Frau noch lange, nachdem wir liiert waren, für eine "power-Frau" gehalten. Bis sie darunter zusammengebrochen ist, und klar war: diese 'power' war im Grunde eine 'Persönlichkeitsstörung' (das ist nicht abwertend gemeint, mir fehlt nur gerade der rechte Begriff dafür) oder 'Veranlagung', die sich durch folgendes auszeichnet: dem Wunsch, immer fit zu sein, immer perfekt zu sein, immer Rat zu wissen, sich immer zu kümmern, nie Anlass zur Kritik zu geben, und es möglichst immer allen recht zu machen.

Für das, was du nach deiner Schilderung immer gemacht hast, als du noch konntest, gab es in den guten alten Zeiten der lila-Latzhosen-Emanzipation einen sehr treffenden Begriff: Reproduktionsarbeit. Du hast gearbeitet, damit es anderen gut geht. Für Schwester, Bruder, Eltern... eine Art ehrenamtliches "Familienmanagement", damit sich alle wohl fühlen und es keinen Ärger gibt. Das ist auch genau das, wofür Frauen leider immer noch erziehungsmäßig gedrillt werden: selbstlos dafür sorgen, das andere sich wohl fühlen und möglichst wenig selbst arbeiten und nachdenken müssen. In dem Sinne war schon meine Grossmutter eine 'power-Frau'. Aber honoriert wurde es ihr nie - so wie dir im Moment auch nicht. Du hast in einem posting gesagt, du seist zu "höflich" - sagt meine Frau auch von sich, was mich immer tierisch ärgert: weil für mich diese 'Höflichkeit' eine nebulöse Umschreibung eines sozialisierten Verhaltensmusters des Selbstaufgabe ist. Das ist nicht höflich, sondern - im Sinne der eigenen Gesundheit - letztendlich selbstzerstörerisch :-(

Ich glaube, an dem Punkt, an dem du jetzt bist - und den sicher ganz viele der hier teilnehmenden Frauen (und auch manche Männer) nur zu gut kennen, gibt es nur zwei Möglichkeiten: entweder, unter der Belastung irgendwann zusammenzubrechen. Dann kann verschiedenes passieren: du gehst zum Hausarzt und läßt dich mit Tranquilizern abfüllen, damit du diesen Zustand noch irgendwie ertragen kannst - das ist unter Frauen in D seit Jahrzehnten millionenfach bewährt. Oder du kommst irgendwann in die Klapsmühle. Oder du bringst dich um. Oder fängst das Saufen an (wobei das eher die männliche Variante ist). Oder du entwickelst dich zu einem chronisch unzufriedenen Menschen, der den Rest seines Lebens an allem und jedem herummeckern muss. Oder...

Oder... du stellst dich auf die Hinterbeine und gehst in die Offensive - und lernst, ein kleines, aber ebenso wichtiges wie schwieriges Wort laut auszusprechen: NEIN

NEIN - ich KANN UND WILL NICHT die kostenlose Kita für Schwesters Sohn spielen. NEIN - ich KANN UND WILL NICHT selbstgekochte Menüs für Bruder und Schwägerin zaubern, wenn ich krank bin. NEIN - ich KANN UND WILL NICHT kostenlos Hotel mit Vollpension für irgendwelche Verwandten spielen. NEIN - ich KANN UND WILL NICHT mit einem Pfaffen diskutieren.

Und immer immer wieder: NEIN - ich KANN UND WILL NICHT...

Wenn du das 1000 mal gesagt und getan hast, wird es irgendwann mal jemand aus deiner Familie begreifen. Dass das eine harte Übung ist, gerade weil du im Moment krank und schwach und selbst hilfsbedürftig bist, ist völlig klar. Aber wenn du es jetzt nicht tust... wann dann?

Meine Frau und ich haben (als chronische Depris) ewig gebraucht, das zu erkennen - und Beziehungen neu zu gestalten. Nämlich nur noch mit den Menschen zu tun zu haben, mit denen ein Gleichgewicht zwischen Nehmen und Geben besteht. Und sich gegen die 'Sauger' und 'Vampire' zu wehren. Und sei es mit zeitweisem oder endgültigem Kontaktabbruch. OK, da trennt sich bei den Mitmenschen schnell die Spreu vom Weizen. Aber um die, die dabei aussortiert werden, ist es nicht schade. OK, im Moment schon, und da ist es schmerzhaft - aber langfristig ist es gut und richtig, und man lebt besser damit.

Aber von dem, was du über dich schreibst, habe ich schon den Eindruck, dass du den richtigen Dreh finden wirst. Wir haben hier auch "nichts zu tun" - obwohl unser Garten nur 1 Fussballfeld gross ist, nicht 2 ;- und können da übrigens Schafe empfehlen - uns unterstützen bei der Pflege 4 Skudden recht effektiv :-) Aber unser alter Bauernhof gibt auch Ruhe und Frieden (war unser Lebenstraum, verwirklicht noch vor dem BK meiner Frau), und er ist unser wichtigster "Basispunkt" im Moment - der ruhende Pol, den wir brauchen. Und wie du haben wir auch einen Hund - der im letzten 3/4 Jahr für uns mitunter der einzige Mensch war, der uns verstanden und unterstützt hat.

Viele Grüße,
Stefan

PS: weil ich ein Mensch bin, der nicht ohne Musik leben kann (und ständig 1.500 Audio-CDs auf seinem iPod mit sich rumschleppt), ist mir zu diesem thread natürlich sofort ein 'passendes' Album eingefallen: 'MTV Unplugged 2.0' von Lauryn Hill. Eine musikalische Geschichte weiblicher Emanzipation. Von 'stuck inside a system that sucks my blood' bis zur Erkenntnis 'ME FIRST'. Sehr authentisch, emotional und musikalisch hörenswert. To whom it may concern...

Und wo ich das gerade höre, sagt sie etwas sehr traurig Wahres: "it's emotional warfare - to tell the people that we love most the truth about us" :-(

Geändert von Stefans (10.09.2007 um 15:06 Uhr)
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