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Alt 16.04.2007, 22:04
Stefans Stefans ist offline
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Standard AW: Depressionen nach der Krebsbehandlung

Hallo Sonja,

Zitat:
Zitat von Busenfreundin Beitrag anzeigen
Wie hälst Du das aus? Was macht Ihr dagegen?
Wir halten das seit vielen Jahren sehr gut aus. Meine Frau mit 75 mg Sertralin pro Tag, ich mit 150 mg Venlafaxin pro Tag...

An die Jahrzehnte, die ich unbehandelt an Depris (und Ängsten / Panikattacken, und Zwängen...) litt, mag ich mich gar nicht mehr genau erinnern. Es war einfach so, dass das bei mir in der Pubertät anfing - wo ich zum ersten mal die große Schlaftablettensammlung angelegt habe. Und dass ich damals und auch danach immer dachte: "na ja, du hast halt keinen Spass am Leben; hast ihn nie gehabt, und wirst ihn nie haben. Sowas gibt's, kann man nichts machen, hast wohl halt die Arschkarte gezogen. Kann ja nicht jeder glücklich sein, und du bist es halt nicht... Also überleg' dir beizeiten, wie du einen würdigen Abgang hinkriegst, wenn du es nicht mehr aushältst."

Das war nicht so schön. Ich habe seit ewigen Zeiten nichts mehr unternommen. Keine Kneipe, kein Kino, kein Konzert, kein Zug / S-Bahn / Ubahn usw., kein Auto, keine Freunde, kein Urlaub. Und immer habe ich mir vorgemacht, dass ich doch noch ganz 'normal' bin. Und das, was ich alles nicht kann, eben einfach nicht 'will'.

Im nachhinein verstehe ich das auch nicht mehr. Aber sowas schleicht sich irgendwie langsam sein, und irgendwann hält man es für normal (weil es für einen selbst ja tatsächlich normal IST). Dann denkt man nicht mehr darüber nach, dass man, wenn man zum Einkaufen die Wohnung verläßt, 15 mal wieder umkehrt, um nachzusehen, ob der Herd _wirklich_ ausgeschaltet ist. Und dass man stundenlang in der U-Bahn-Station steht und einen Zug nach dem anderen vorbei fahren läßt, weil man sich nicht traut, einzusteigen. Und wenn man nicht mehr Einkaufen gehen kann, dann ruft man halt den Pizza-Service und trinkt Leitungswasser. Und wenn man 3 Wochen lang ungewaschen im selben Hemd im Bett liegt und nur noch aufsteht, um auf's Klo zu gehen und zu gucken, ob es in der Küche noch was zu Essen gibt... dann ist das eben auch 'normal' :-(

Ich habe mein erstes 'ernstes' Warnsignal bekommen, als ich irgendwann 'von heute auf morgen' die Wohnung nicht mehr verlassen konnte. Da habe ich dann ein Vierteljahr lang gehockt - und mich schon schweissnass und zähneklappernd in meinem Zimmer versteckt, wenn nur der Briefträger geklingelt hat. Und mich nicht mehr getraut, einzuschlafen - weil dann die Nachtmahre kommen, die noch viel schlimmer sind als der Tag. Da war dann selbst mir irgendwie klar, dass es so nicht weiter gehen kann ;-)

Zitat:
Meinst Du wirklich, daß ich Depressionen hab?
Ich bin kein Arzt, und ich kenne dich nicht. Kann ich nicht sagen. Aber von den Symptomen her kommt es hin.

Zitat:
Im Grunde ist es ja egal, aber ich denke, daß die Behandlung eine andere ist. Wenn es wirklich Depressionen sind, geht man anders an die Sache ran, als wenn es ein Erschöpfungssyndrom ist.
Na ja... Die Definition von Depris ist nach ICD 10 ein weites Feld :-/ Und einen Arzt zu finden, der die Sache richtig einschätzen kann, ist auch nicht einfacher...

Zitat:
Ich bin der Mensch, der die Probleme gerne bei den Wurzeln angreift. Ich denk mir, der Körper oder die Psyche wollen mir damit ja was sagen. Also sollte ich das Problem lösen, bevor ich Psychopharmaka nehme. Erst wenn das alles nichts geholfen hat, möchte ich darauf zurückgreifen.
Das kenne ich sehr gut. Obwohl ich mittlerweile (aus persönlicher Erfahrung) ein vehementer Verfechter der Psychopharmakologie bin, habe ich mich auch nie darum gerissen, Antidepressiva einzuwerfen. Ich habe das ewig lang ohne versucht (und mit Psychotherapien, wo mich so eine Dipl.Psych.-Pappnase noch nach 70+x Therapiestunden ernsthaft gefragt hat, warum ich denn unbedingt will, dass es mir schlecht geht - und dabei nichtmal gemerkt hat, dass ich kurz vom Suizid stand...). Dann erstmal das gute pflanzliche Johanniskraut - leider ohne jeden Effekt, selbst bei 3.000 mg Hypericin pro Tag.

Aus meiner Erfahrung (rein subjektiv) denke ich allerdings, dass du mit deiner Einstellung den Karren vor das Pferd spannst. Soll heissen: du hast akute Probleme. Und du hast, wie jeder Mensch, 'tiefer liegende' Probleme, die ihre Wurzeln in der Vergangenheit haben. Ich halte viel davon, sich diesen 'Ursachen' zu widmen - weswegen gehe ich sonst seit ewigen Zeiten zu 'meiner' Psychotherapeutin (der besten der Welt!)...

Aber diese 'Kindheitsprobleme' laufen nicht weg, die kannst du auch nächstes Jahr noch anpacken. Ob du aber bis nächstes Jahr damit leben kannst, ständig müde und abgeschlagen zu sein und nur noch schlafen zu wollen ??? Ich glaube inzwischen, dass akute Probleme akute Hilfe erfordern. Und das ist IMHO Psychopharmakologie kurzfristig besser geeignet als das 'Seelenstudium'. Mit den 'Ursachen' so einer Krankheit kann man sich 100 Jahre lang befassen. Aber welchen Sinn hat das, wenn es einem erst in 100 Jahren besser geht ???

Zitat:
Die Psychotherapie zielt in erster Linie darauf ab, mich aus den Verstrickungen meiner recht schwierigen Kindheit zu lösen. Ich gehe nur alle 2-3 Wochen hin und ich bin der Überzeugung, daß mich diese Art der Behandlung seeeeeeeeeeeeeeeeehr weiterbringt!
Das tut meine auch. Aber: ohne die Psychopharmaka, mit denen ich die Depris in den Griff bekommen habe, wäre ich überhaupt nicht 'therapiefähig'. Wie das ist, habe ich lange genug erlebt :-(

Zitat:
Die Therapeutin habe ich aber auch erst nach einem Jahr "sinnloser Therapie" gefunden.
Ja, das ist wohl leider so, dass man da länger suchen muss. Sowas kommt aber mit zunehmender 'Therapie-Erfahrung'. Je länger man dabei ist, desto besser und schneller kann man einschätzen, welcher Therapeut gut für einen ist. Ich habe da auch eines 'Lehrgeld zahlen' müssen.

Zitat:
Ich wünsche Dir und Deiner Frau alles Gute und hoffe, daß es Euch bald besser geht!!!!!
Danke! Aber uns geht es gut, beiden, schon seit Jahren. Zumindest solange, wie wir die AD nicht absetzen. Was wir niemals tun werden. Denn dann gehen, wie wir aus Erfahrung wissen, nach ein paar Wochen die Lichter aus :-(

Viele Grüße,
Stefan
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