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Alt 22.03.2007, 09:13
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marita76 marita76 ist offline
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Standard AW: junge Frauen und der Tod der Mutter

Hallo,

ich bin zwar nicht mehr soo jung (30), aber ich möchte meine Geschichte trotzdem in diesem Thread erzählen, weil es rausmuss..

Meine Mama hat am 21. November 2006 die Diagnose Darmkrebs erhalten, von Metastasen war anfangs nicht die Rede. Es gab gleich einen OP-Termin und Mama hatte zwar Angst, aber auch viel Zuversicht und hat gesagt, sie macht dann zu Weihnachten ne Flasche Sekt auf, wenn alles vorbei ist.

Leider kam alles ganz anders, im Dezember wurden schon Metastasen auf der Leber entdeckt, dann erst mal Chemo und Bestrahlung. Der Tumor im Darm ist davon auch anscheinend komplett weggegangen. Aber die Lebermetastasen sind munter weitergewachsen. Sie haben sich von gar nichts beeindrucken lassen.

Nachdem dann der 2. OP-Termin für die Leber, der für den 1. März angesetzt war, abgesagt wurde, war zumindest mir klar, dass es eigentlich aussichtslos ist. Trotzdem klammert man, wie ihr ja sicher alle wisst, zumindest unbewusst daran, dass ein Wunder auf Erden geschieht.

Es ging im Gegenteil so rapide bergab, dass sogar die Ärzte etwas überfahren waren.. sie bekam so vor drei Wochen ne Gelbsucht, musste vor anderthalb Wochen mit starken Schmerzen in die Klinik und kam auch nicht wieder nach Hause. Mein Vater hatte schon alles vorbereitet, damit wir sie zu Hause pflegen können, aber der Krebs hat uns ein letztes Mal rechts überholt.

Gestern Nachmittag ist Mama von dieser Welt gegangen - mein einziger Trost ist, dass sie wohl keine Schmerzen mehr hatte und wir alle bei ihr waren: Mein Vater, meine Brüder und sogar meine Oma (Mama's Mama), die vorgestern 90 Jahre alt geworden ist und sich fragt, warum sie eigentlich noch auf der Welt ist und das noch miterleben muss.

Mama ist 63 Jahre alt geworden. Sie hat nur für ihre Familie gelebt und ich bin ihr unendlich dankbar für alles, was sie für uns alle getan hat. Ich hätte mir so gewünscht, dass sie im September noch bei unserer Hochzeit dabei sein kann.

Zum Abschied hab ich ihr gestern Mittag, als sie noch auf uns reagiert hat, noch ein Gedicht vorgelesen von Hilde Domin. Das finde ich wunderschön und wollte es mit Euch teilen:

DIE SCHWERSTEN WEGE

Die schwersten Wege
werden alleine gegangen,
die Enttäuschung, der Verlust,
das Opfer,
sind einsam.

Selbst der Tote der jedem Ruf antwortet
und sich keiner Bitte versagt
steht uns nicht bei
und sieht zu
ob wir es vermögen.

Die Hände der Lebenden die sich ausstrecken
ohne uns zu erreichen
sind wie die Äste der Bäume im Winter.
Alle Vögel schweigen.

Man hört nur den eigenen Schritt
und den Schritt den der Fuß
noch nicht gegangen ist aber gehen wird.
Stehen bleiben und sich Umdrehn hilft nicht.
Es muss gegangen sein.
Nimm eine Kerze in die Hand
wie in den Katakomben,
das kleine Licht atmet kaum.

Und doch, wenn du lange gegangen bist,
bleibt das Wunder nicht aus,
weil das Wunder immer geschieht,
und weil wir ohne die Gnade
nicht leben können:

Die Kerze wird hell vom freien Atem des Tags.
Du bläst sie lächelnd aus
wenn du in die Sonne trittst
und unter den blühenden Gärten
die Stadt vor Dir liegt,
und in Deinem Hause
Dir der Tisch weiß gedeckt ist.

Und die verlierbaren Lebenden
und die unverlierbaren Toten
Dir das Brot brechen und den Wein reichen -
und Du ihre Stimme wieder hörst
ganz nahe
bei deinem Herzen.

Liebe Grüße
Marita
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