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Alt 03.03.2003, 23:53
Gast
 
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Standard Wünsche für Michi

Liebe Michi

Ich kann mich den Worten von Martin nur anschliessen.
Es ist so wichtig, dass Du hier alles sagen kannst, alles abladen kannst, was Dich sonst erdrücken würde. Manchmal redet es sich besser, wenn man schreiben kann als wenn einer einem mit immer grösser werdenden Augen gegenübersitzt.

Auch ich kann nicht immer schreiben. Es gibt Zeiten, da kommt einfach nichts Gescheites raus, obwohl ich es möchte und dann gibt es Zeiten, da fliesst es nur so und ich komme kaum
nach, alles in meine Bücher reinzuschreiben.
Die "schönsten" meiner Gedichte habe ich aber fast alle in wirklich schwierigen Zeiten geschrieben.
Ich kenne die vielfältigen Gefühle, die Du beschreibst sehr gut, auch wenn ich nicht ganz in der gleichen Lage bin wie Du.
Zu meinem Gendefekt hat mein Körper eine weitere Macke, immer entzündet sich irgendwo wieder ein Infekt, nicht nur Schnupfen oder Halsentzündung sondern Nierenbecken-, Bauchwand-,Bauchspeicheldrüsenentzündung und all so was. Kaum ist eines ausgestanden, steht meist schon das nächste ins Haus und wenn jemand verstehen kann, wie das für mich ist, wenn mich meine Freunde oder mein Freund aus Südamerika am Telefon nach dem Befinden fragen, und ich immer wieder eingestehen muss, ich hab schon wieder was, dann bist das wohl Du.
Das ist schrecklich. Ich fühle mich oft wie ein Jammerlappen und bin doch tief innen eine richtige Optimistin. Es verträgt sich einfach nicht.Ich möchte doch zu meinen Freunden ehrlich sein, doch ist es denn richtig, sie immerzu zu belasten? Ihnen kummervolle Augen und ein schweres Gefühl in der Seele zu bereiten? Ich habe manchmal ein schlechtes Gewissen deswegen und weiss doch, dass ich es nicht haben müsste, denn ich mache die Beschwerden ja nicht mit Absicht.
Die Wut, die kenne ich auch. Eine Zeitlang hatte ich sie auf alle, denen es gut ging, auf die Jungen, die rauchen oder Drogen nehmen - die versteh ich heut noch nicht.
Auf die Kunden, deren einziges Problem es ist, dass die Nachbarin das gleiche Kleid zur Hochzeit der Tochter trug oder eine andere ihr das Geliehene Salatbecken nicht zurückgegeben hat. Auf die Leute, die missmutig durch die Strassen laufen, sinnlos rumhängen, die Zeit totschlagen oder sich betrinken.
Jetzt ist das besser, denn ich konnte mich schon selbst nicht mehr leiden. Ich war auch aggressiv, besonders dann, wenn die Schmerzen arg waren, oder als ich Cortison bekommen habe.

Liebe Michi, ich überlege mir die ganze Zeit, was ich in so einer Situation wie Du es bist, tun würde, was mir Freude machen würde.
Ich denke an Musik hören ganz bewusst,nicht nur so eine Berieselung, vielleicht mal ein Konzert besuchen - wenn die Bänke nicht zu hart sind, oder ein Theater oder eine Oper( Tut es Dir weh beim Lachen?)Oder Kino.
Ich denke daran, dass Du weniger selbst machst und auf die Beine stellst, sondern Dir was bieten lässt von andern, dass Du eine Dienstleistung in Anspruch nimmst.
Ich fahre selber gerne Rad, aber wenn ich das zwischendurch nicht konnte, bat ich manchmal meinen Freund, mich mit dem Auto etwas rauszufahren. Es hat gut getan, einfach mal eine andere Landschaft zu sehen, als die immer gleiche ums Haus herum. Und wenn ich zwischendurch eingeschlafen bin, so war das auch nicht tragisch.
Ich glaube, man muss lernen zu bitten, nicht zu fordern, man muss lernen, etwas Hilfe anzunehmen,ohne dass wir uns in unserem Stolz und unserer Würde verletzt fühlen müssen.
Es gibt sie schon, die hilfsbereiten Menschen, die teils freiwillig andern helfen.

Hast Du jemand, der für Dich einkaufen geht, wenn Du zu schwach bist? Oder jemand, der Dich dabei begleitet?
Schwierig ist, denke ich, dass wir noch so jung sind. Wenn eine alte gebrechliche Frau eine Begleitung zum Einkaufen braucht, wird das von aussen ganz anders bewertet, als wenn wir jungen Leute so etwas in Anspruch nehmen.
Ich denke, wir müssten soweit kommen, dass uns das egal ist, was andere Leute denken, wenn wir es vor uns selbst verantworten können, ist es nämlich Grund genug.
Krebskranke Menschen sind nämlich keine Faulpelze oder Bequemlinge, auch wenn auch mir das schon zum Vorwurf gemacht worden ist. Ich weiss es besser.
Aber auch ich hatte Mühe, nach der Hochdosistherapie eine Haushaltshilfe zu organisieren bzw. überhaupt eine solche in Erwägung zu ziehen. Und das, obwohl es mir von der Krebsliga angeboten worden ist.

Das Schwierigste, was Du ansprichst, ist, denke ich, wie wir vergessen können, dass wir so krank sind, wenn permanente Beschwerden uns plagen. Wie wir unbeschwert leben sollen so.
Ich kann Dir das auch nicht sagen, ich kämpfe derweil mit den gleichen Problemen.
Es klingt so klug, zu sagen, tja, man muss halt damit leben lernen.
Es ist so verdammt schwer, nur Menschen, die sich nicht in unsere Lage, speziell in Deine hineinversetzen können, geben solche Ratschläge.
Ich habe keinen Rat für Dich dazu, aber ich kann Dir sagen, dass immer, wenn Du das Bedürfnis verspürst Dich hier zu öffnen, zu klagen, zu erzählen, zu schreien, zu wüten, zu weinen oder natürlich auch zu freuen, zu lachen, ein Erlebnis mit Deinen Kindern zu berichten, oder von etwas, das Dir geholfen hast - dann tu es, komm her und lass es raus.
Der Schmerz in Deinem Körper geht davon vielleicht nicht weg, aber der Druck in Deiner Seele.

Und immer wird wer dasein, um Dich zu lesen, Um Anteil zu nehmen, um Dir ein Gedicht zu schenken,um Stellung zu nehmen, um Dich aufzumuntern oder zu trösten, denn hier haben Menschen, die Dich gernhaben, einen Platz für Dich geschaffen!

In Gedanken werde ich oft bei Dir sein
Liebe Grüsse und bis zum nächsten Mal

Ladina