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Alt 10.07.2006, 17:42
Lisa48 Lisa48 ist offline
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Standard AW: Selbsthilfegruppe Zungenkarzinom

Liebe amoebe,

die Angst ist sicher allgegenwärtig, dass Deine Mutter leiden muss oder diese Krankheit nicht übersteht. Das kann ich mehr als gut verstehen.

Ich selbst bin 58 Jahre alt, war also 56, als ich die Diagnose erfuhr. Ich habe und hatte damals schon zwei erwachsene Töchter, eine gerade im Examen, die andere vor einem langersehnten Urlaub ins ferne Ausland.

Ausschließlich mein Mann wusste, dass diese Entzündung ein Karzinom war. Ich habe weder meine weitere Familie (alte Eltern, Geschwister usw.) noch meine Töchter informiert. Alle wussten, dass ich eine hartnäckige Entzündung im Mund hatte und eine Fistel operativ entfernt wurde, aber niemand ahnte die Schwere der Erkrankung. Dafür ist ein Zungenkarzinom zu unbekannt.

Später - nach erfolgtem traumhaften Urlaub und bestandenem Examen - habe ich unsere Töchter informiert und den Freund, mit dem eine der Töchter seit Jahren zusammenlebt. Ich konnte ihr nicht zumuten, nicht mit ihm darüber sprechen zu dürfen.

Ich habe meinen Wunsch, außer diesem kleinen Kreis niemanden weiter zu informieren, ausführlich erklärt. Ich will nicht bei jeder Familienfete auf die Krankheit angesprochen werden, will nicht, dass plötzlich eine veränderte Situation eintritt, die mit Sorge und Angst einhergeht. Ich wollte abwarten, ob ich selbst den Beistand brauche, ob es mir vielleicht doch ganz gut täte, wenn meine Umgebung schonungsvoll mit mir umgeht. Dann hätte ich immer noch die Gelegenheit gehabt, alle zu informieren.

Da dieses Bedürfnis nie aufkam, im Gegenteil, ich sehr froh war, dass auch Arbeitskollegen, Nachbarn und Freunde die Krankheit als eine normale Geschichte annahmen und dann auch nicht mehr groß thematisierten, bin ich heute unendlich froh, dass meine Krankheit ein kleines Geheimnis innerhalb der engsten Familie geblieben ist.

Unsere Töchter und mein Mann haben das manchmal richtig vergessen. Ich hatte die Chance, beim bisherigen Leben zu bleiben - natürlich auch, weil ich Glück hatte mit T1/N1/G1.

Immer, wenn ich im Forum lese, dass Reden ganz wichtig ist, dass sich mitteilen hilft, und dass vor allem Männer lieber schweigen, weiß ich, dass auch das eine sehr gute Variante ist. Das viele Reden kann eine Situation nämlich auch manifestieren, kann sowohl den Betroffenen wie auch den Angehörigen eine Bühne bieten, den anderen - ungeachtet dessen ob Patient oder Angehöriger/Freund - zu besetzen und das Thema zum eigenen zu machen. Immer nach dem Motto: mach`mal, hast Du schon, willst Du nicht und ich habe gehört, dass ....

Vielleicht ist das bei Deiner mam ähnlich wie bei mir. Ihr tut es gut, wenn das Leben außerhalb der Behandlungen der Krankheit möglichst wenig Raum gibt. Wenn die Feierabende oder Wochenenden noch den früheren Ablauf und Charakter haben und sich nicht alles der Krankheit unterordnet und sich nicht alles verändert.

Vielleicht ist es bei Deiner mam ähnlich, vielleicht auch nicht. Ich schildere Dir meine Situation nur, damit Du auch diese Möglichkeit mal prüfst. Dann wäre es für Deine Mam ein große Hilfe, wenn Du liebevoll alles so nimmst, wie sie es Dir unterbreitet. Da sein, wenn sie sich das wünscht, in Ruhe lassen, wenn sie das braucht. Und dann kommst Du dran - für Deine mam wird es immer wichtiger werden, dass Du ihr von Deinem Leben berichtest, Deine Freuden und Sorgen mitteilst, alles was es so gibt. Denn das ist für Mütter ganz wichtig, dass die Kinder trotz der Krankheit mir ihren Freuden und Sorgen zu ihnen kommen. Das wäre dann ein Stück Normalität.

Vielleicht ist es aber auch ganz anders bei Euch. Ich wünsche Dir, dass Dich die Angst um Deine mam nicht vollständig beherrscht und Du zumindest in großen Teilen Dein altersgerechtes Leben leben kannst. Wahrscheinlich wünschen sich das auch Deine Eltern.

Liebe Grüße
Lisa
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