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Alt 01.02.2006, 09:56
Liz und Willy Liz und Willy ist offline
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Standard AW: Bye bye Dad, I love you .... Alfred 16.2.1972

EINSIEDELN FORTSETZUNG 1 ....


Willy wusste nur wir gehen mit dem Auto weg.

Es war ja schon am eindunkeln als wir losfuhren.

Wir nahmen warmes Zeug mit, Fotoapparat und gute Laune, ein Loch im Bauch und eine wahnsinnige grosse Vorfreude auf das was kam und das was wir noch nicht wussten was kommen wird. Und, ja und auf die Tatsache, dass es für Willy eine Überraschung sein wird. Es war wie Geschenke unter dem Weihnachtsbaum legen und ganz hibbelig vor Freude darauf zu warten dass deine Liebsten DEIN Geschenk aufmachten um deren Gesichter die Freude zu sehen. Das war das schönste an der Weihnachtsvorfreude aber auch an dieser Vorfreude.

Ich war ganz hibbelig, denn es war ein Silvester der Ruhe, der Romantik und des Aussergewöhnlichen. Genau das passte zu uns. Für mich war es noch mehr, denn ich konnte meinem Schatz einen Wunsch, denn er kaum je ausgesprochen hatte erfüllen. Ich wusste er wird sich freuen und lange danach noch zerren können.

Regula stellte wieder das Navigationssystem ein auf unser für uns bekanntes und für Willy unbekanntes Ziel. Ich war so froh, dass es auf der ganzen Strecke nicht regnete. Gespannt war ich, ja angespannt wie ein Kind vor seiner Geburtstagsfeier. Wir fuhren durch die Ortschaft wo es stattfinden sollte, ich war froh im Netz eine Vogelperspektivenbild vom ganzen gesehen zu haben, so wusste ich in etwa was ich suchen mussten, denn auch hier – nur Gehöftname ohne Strasse. Aber das Lagerfeuer sah man in der dunklen Nacht schon von weitem, die Tipi-Zelte waren auch nicht zu übersehen, trotz Dunkelheit.

Als Regula rechts abbog und langsam auf den schneeversteckten Weg zum Parkplatz fuhr, rannten mir die Tränen runter, denn Willy war plötzlich ganz ruhig – irgendwie waren wir in diesem Moment eine Einheit. Ich spürte unsere innige Liebe, unsere zusammen geflochtene nicht auseinander zu bekommende Zweisamkeit die nun nur noch Eins war - Liebe und Freude pur. Wie sie mit so einer kleinen Überraschung einmal mehr vereint wurde. Es braucht nicht viel zum Glück - viel Liebe, Respekt, Toleranz, Vertrauen und ein offenes Auge für das Einfache und Schöne.

Es war ein Moment der enormen Freude, aber auch Trauer, ein Moment des so oft erlebten scheibchenweisem Abschiednehmens. Ich war aber auch traurig im Wissen unsere Zeit ist eine Zeit auf Raten. Das volle Programm der Berg- und Talfahrt und das Scheibchenweise Abschiednehmen in Minuten durch fluteten mich. Das Wunder des Abends erleben zu dürfen mit dem Wissen es kann das letzte Mal sein. Ich sage bewusst es kann, denn so oft schon hiess es, es wird das letzte Mal sein und doch hat er es immer wieder geschafft. Ich sagte immer zu seinem Vati – Vati du bist unser Stehaufmännchen. Nun gilt das gleiche für Willy.

Er konnte es nicht mehr abwarten sein Überraschungspaket zu öffnen. Er sprang aus dem Auto und weg war er!!! Wie ein Kind das das erste Mal den Strand sah. Sogar im Dunklen sah man seine Augen leuchten.

Wir beide, Regula und ich standen da beim Auto verdutzt - er war schon weg auf Entdeckungstour!

Beim Auto zogen wir uns ganz warm an, wer aber nicht mehr bei uns war, war Willy – er hatte die Husky Hunde gesehen, eines seiner Lieblingshunderassen, er war hin und weg. Er sah nur noch die Hunde, deren leuchtenden Augen die eigentlich genau das widerspiegelten was in ihm vorging, das Leben geniessen und Freude zu haben. Erst nach der grossen Begrüssungszeremonie mit den Huskies sah er eigentlich was im restlichen Überraschungspaket alles noch war, Er „entdeckte“ das grosse wärmende Lagerfeuer und die Tipi-Zelte. Und natürlich den Militärkessel der über dem Lagerfeuer hing mit dem wohlriechendem Glühwein drin.

In der Zeit erledigte ich die ganzen Formalitäten, wobei es an sich nichts gab zu erledigen.

Auf dem Weg zu den Tipis und dem Lagerfeuer zündete ich meine Kerze in der Laterne an und stellte sie in unberührten Schnee. Wie ein Monument leuchtete unser Licht der Freunden. Ein Licht das wir unter dessen überall mitnehmen – am Heiligabend in die Kirche und nun am Silvester in den Schnee. Das Licht der gemeinsamen Kraft muss einfach dabei sein.Ich wollte, dass unser gemeinsames Licht uns an diesem Abend begleitete. Mit der Laterne war ich mir sicher, dass sie nicht ausgehen wird. Kerzennachschub hatte ich im Notfall eh dabei!

Willy ging in Richtung Lagerfeuer wo wir mit einem auf dem Lagerfeuer gemachtem Glühwein begrüsst wurden. Romantik pur.

Es war so schön kein Licht, nur Fackeln und das Feuer, der helle Nachthimmel und unsere Kerze zu haben. Kein Autogeräusch, keine laute Musik, keine Trubel, Jubel, Heiterkeit, einfach ein paar Wildfremde die gemeinsam einen ausserordentlichen Silvester verbringen wollten.

Allmählich knabberten wir uns durch die Häppchen etc. und genossen die Wärme des Lagerfeuers unter einem kalten Winterhimmel, irgendwo im Niemandsland. Weit weg von jeglicher Zivilisation, und doch standen ja die Autos vor der Türe. Ich hatte das Gefühl der Orientierungslosigkeit aber einer wohltuenden Orientierungslosigkeit die in diesem Niemandsland Freiheit, Weite und doch Geborgenheit und Vertrautheit vermittelte und ausstrahlte. Ich kam mir vor wie wenn die Dunkelheit mich wie Engelsflügel umarmte und beschützte, es nahm mir alle Angst der Zukunft…. Wenn diese Gefühl nur anhalten könnte.

Die Besitzer der Hunde und Organisatoren erzählten dann einiges über Huskys, dem weiteren Programm sowie wie und wann es losgehen sollte.

Am knisternden heissen Lagerfeuer, das doch den Schnee nicht zum Schmelzen vermochte war ein kleiner Unterstand. – nicht dass wir ihn jetzt gerade benötigten, er war einfach da, im von der Nacht und vom Feuer hell gelblich erleuchtendem Schnee, bedeckt. mit einer dicken leuchtenden Schneedecke auf darunter ruhendem Eisboden. Alle standen da, redeten miteinander, machten sich bekannt und hielten in beiden Händen den wohlriechenden heissen Glühwein.

Aber erstmal hiess es Schneeschuhe fassen. Die anderen holten die Schuhe, wir unsere eigenen Stöcke und dann streckten wir unsere Füsse hin um uns „anziehen“ zu lassen. Die anderen mussten sie selber anziehen, da wir dies aber nicht machen konnten kamen wir in den Genuss von „Schneeschuhanzieher“!!! Willy konnte es nicht wegen seinen Lähmungen, ich wegen meiner MS und Regula hätte es auch gekonnt, aber ihre eigene MS hat bei der Kälte auch gestreikt. Mit Stirnlaternen, Schneeschuhe, warme Sachen und Stöcke ausgerüstet waren wir nun bereit, aber nicht nur wir, die Huskys waren auch schon ganz hibbelig im Wissen es geht bald los zum rennen und Schnee geniessen.

Es war eine wunderschöne hügelige Landschaft, das hiess auch, dass die erste Strecke erstmal hoch ging und dann würde es fats eben weitergehen. Wobei sie ausdrücklich sagten es wäre nur eine kurze Strecke die es galt hoch zu laufen.

So fing die Gruppe an sich durch den Schnee zu stampfen, man war das ungewohnt mit solchen Schuhen rum zu laufen, es war wie bei Tauchen mit den Flossen gehen zu müssen bevor man endlich im schwerelosem Wasser angelangt war.

Gleich zu Beginn kam das erste Hindernis – es galt ein verschneites Bord zu überwinden das ca. 70cm hoch war. Alle wollten mir, dieser dicken Taigatrommel, helfen auf das Bord zu kommen. Niemand wusste, dass ich es nur schwer schaffte, weil ich MS habe, und die Probleme nicht wegen meines Gewichtes da waren, sondern weil ich in den Beinen nicht mehr die Kraft hatte mich irgendwo hoch zu stemmen. So komme ich auch nicht mehr ein Schemel hoch, nur noch Leitertritte, aber auf einen Stuhl etc. nada, das geht nimmer! Auch wenn ich mal auf den Knien bin komme ich fast nicht mehr hoch, ich kann zwar das eine Beine zum hochstemmen richten, habe aber in den Oberschenkeln nicht mehr die Kraft hoch zu kommen. Ich kann mich ja nur noch mühsam im Bett umdrehen, weil ich auch hier in der linken Seite von der Schulter bis zum Bein die Kraft nicht mehr habe um mich abzustemmen zum Umdrehen. Ich musste die Hilfe dankend ablehnen, witzelte noch und sagte „also wenn jemand stürzt, dann bitte nur ich alleine und nicht dass ich noch jemand mit runter ziehe“. Das habe ich genug erlebt als ich noch nicht den Gehwagen hatte und mich bei Willy einhängte oder nur am Stock lief, plötzlich landete ich auf den Knien und zog Willy mit ins verderben – habe ja so mal meine Kniescheiben gebrochen. Ich musste für mich einen Weg heraussuchen, um da hoch zu kommen. Na das fing ja schon gut an, kaum losgelaufen und schon ein Hindernis. Mit Abstützen auf meinen Stöcken und auf den Knien mit anschliessender halber, ne ganze Seitenrolle kam ich das Bord hoch – muss ja zum Schreien lustig ausgesehen haben für diejenigen die nicht wussten was mit mir los war. Nun galt es wieder auf die Knie zu kommen und irgendwann und wie wieder auf die Beine! Darunter warne ja immer noch die ungewohnten Schneeschuhe dran!!!! Denn auch ohne Schnee und Eis komme ich nicht mehr aus einem Kniestand hoch. Da war ich froh mich mit meinen Stöcken hochzustemmen und mich an zwei kräftige Männer halten zu können, um mich hochziehen resp. und -stemmen zu können. So das erste Hindernis war nun überwunden - wir konnten endlich nun richtig loslegen.

Es ging erstmal etwas bergauf, nicht schlimm aber doch stetig, danach hiess es sollte es fast eben sein…. Von wegen! Ne wunderschöne aber anstrengende Berg- und Talfahrt war es!

Es dauerte nicht lange und man hat sich an die Schneeschuhe gewohnt.

So da waren wir, auf der Strecke durch die Nacht mit nur 2 kleinen Stirnlampen die brannten aber so viel Licht vom Himmel kommend so dass man alles sah, die Fussspuren, die Bäume, die Bächlein, ja sogar Tierspuren. Das Schattenspiel der Bäume unten in den verschneiten Tälern oder als Silhouetten auf den Hügeln. Eine besondere Welt für sich. Nicht Angst einflössend, sondern einfach schön um es stundenlang bestaunen zu können und irgendwie sogar wirkte es auf mich sehr harmonisch und beruhigend, nur du und die Natur und die Nacht. Niemand hat die Gewalt über dich, nicht das Dunkle drückt und bemächtigte dich und deine Gedanken, sondern einfach die Schönheit, das Versinken in einer atemberaubender Welt die du so noch nie wirklich bewusst miterlebt hast. Es war ausser das Rascheln und Knirschen des Schnees und durch den Schnee laufen einfach ganz still und ruhig, alle waren überwältigt und schwiegen, zogen einfach nur das ein und genossen jede Sekunde. Rechts von mir ging der Hügel weiter hoch als links, links war aber eine Baumlichtung und da drin hörte man das Nachtleben der Rehe. Links oben stand der Mond am Himmel und beschützte uns, hinter uns das orange Licht der Stadt Zürich die eigentlich weit, weit weg war aber doch viel Licht gab. Zwischendurch sah man ein Feuerwerk sich dem Himmel empor kämpfend hoch steigen, schön, ja sehr schön da es ohne Geknalle war, das war zu weit weg m es zu hören.

Nun galt es die Natur pur und uns unter leicht verdecktem Sternenhimmel zu geniessen und sich mit sich selber auseinander zu setzen,
du und die Nacht,
du und die Natur,
du und das Leben,
du und der Tod,
du und das Weiterleben, das Überleben.

Die Ruhe in der Natur, im Schnee die war genau das was ich mich schon so lange danach gesehnt hatte. Ich konnte Kraft tanken, unheimlich viel Kraft tanken, schon nach ein paar wenigen Minuten.

Es nieselte leicht und das Kühle Nass im kalten Wind tat unheimlich gut, weckte mich aber liess mich vor allem spüren, dass ich noch lebte. Ich durfte spüren, dass mich weder Willy’s noch meine Krankheit bislang umgebracht hat. Wir konnten ihnen bis heute trotzen und das werden wir auch weiterhin tun.

Es tat aber auch gut sich an seine Grenzen zu bringen zu lassen und diese wieder einmal zu spüren, ich spürte wie ich lebte und das tat gut denn mehrheitlich leben wir im Moment im Sog der Krankheiten und merken kaum, dass es links und rechts noch ein echtes Leben gibt.

Es war aber auch eine Situation wo ich merkte, dass Willy’s Welt anders war als meine. Wo er weit tiefer im Sog der Klinik und der Therapien steckte als ich, ich konnte abschalten und geniessen, er war weit näher an seinem Tod als ich, denn ohne Sauerstoff ging ja gar nichts mehr. Ich konnte trotz Schmerzen und Lähmungen einfach nur zu Zweit sein, die Herausforderung der Natur die vor mir stand und ich. Willy hingegen wurde mit jedem einzelnen Atemzug an seine Grenzen gebracht. Denn wenn das Atmen schwer ist und man Atemnot hat, kann man leider gar nichts geniessen, denn die Todesangst hat dich voll im Griff. Wie ein Würgegriff der sich nicht löst.

Das Laufen war richtig schön, und es wurde mir bald warm. Ja sehr warm sogar, meine Brille lief an und ich musste sie mir auf den Kopf in die Haare stecken damit ich überhaupt noch was sah.

Willy und Regula liefen vor mir, so hatte ich Willy unter Kontrolle, ach blödsinn, ich musste ihn ja nicht kontrollieren, aber ich hatte ihn im Auge, ich sah sofort wenn etwas nicht stimmen sollte. Das war sehr beruhigend für mich, so konnte ich rasch reagieren.

So liefen wir den Hügel hoch.......

Tief im Schnee leicht einsinkend und Spuren hinterlassend.



FORTSETZUNG FOLGT .....

Alles liebe eure Liz im halben Doppelpack mit Willy im Herzen
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Willy 54 J. LK Pancoast Tumor Adeno. ES 8/02 ED 11/02, Radio-Chemo, Op. 2/03 seither Teilgelähmt, O2-abhängig
Liz MS im Rolli. Gebärm.ca. 8/05
Mami 10.4.1934 - 7.9.2009
inoper. Hirntumor 10/07, Blasenkrebs 1/09
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