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Alt 21.10.2002, 14:19
Gast
 
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Standard Dokumentarfilm über das Tabu Sterben

Hallo Etienne, danke für deine schonungslose Einschätzung meiner Person. Danke, jetzt weiß ich endlich, dass ich ein selbstmitleidiger Mensch bin, rücksichtslos, nur darauf aus, mit meiner Krankheit im Mittelpunkt zu stehen. Hey supi!

Ich gehe jede Woche arbeiten, 5 Tage, jeden Tag mehr als meine vereinbarten 8 Stunden. Ich spiele 2x die Woche Volleyball. Ich habe gelernt, wie ich am besten spritze, damit ich mit den Nebenwirkungen nicht so sehr zu kämpfen habe. Ich habe ein Meerschweinchen zu versorgen, ich mache meinen Einkauf alleine, ich hole meine Post, ich mache meinen Abwasch usw. Wenn meine Eltern Hilfe bei vertraglichen Problemen brauchen oder jemanden, der ihnen Outlook einrichtet, dann fahre ich zu ihnen. Was uns beide nun unterscheidet? Ich habe sehr oft mit Schüttelfrost zu kämpfen, mit Schmerzen, mit der Angst, mit meinen Depri-Anfällen. Und kriege meinen Alltag trotz Krebs über die Runden. Soviel zu "mein Leben in normale Bahnen lenken und sich zusammenreißen".

Es geht hier absolut nicht darum, Mitleid zu erwecken, ich selbst mache genug makabre Scherze über meinen Krebs. Nein, aber vielleicht brauchst du mal jemanden, der dir klarmacht, was Krebs heißt. Natürlich heule und leide ich nicht jeden Tag und bedauere mich. Ich bin froh, dass ich im gegensatz zu vielen anderen Krebskranken mein Leben relativ normal weiterleben kann. Aber das bedeutet nicht, dass ich mir keine Gedanken mache. So wie jeder andere, dem es mal nicht gut geht. Und so wie (fast) jeder andere, dem es mal nicht gut geht, brauche auch ich jemanden mal zum zuhören. Jemanden, meine Freunde. Ob wir nun in unserer Definition dieses Begriffes übereinstimmen, ist mir ehrlich gesagt sch...egal. Ich weiß nicht, welche Werte für dich zählen und inwieweit sie sich von meinen unterscheiden. Ich habe drei oder vier Leute, die ich als echte Freunde bezeichnen würde, der rest fällt unter einen erweiterten Freundesbegriff. Deswegen habe ich versucht, hier eher von meiner Umwelt zu sprechen. Nicht von Freunden.

Ich kriege fast einen Lachanfall bei deiner Einschätzung meinerseits, dass ich nur die personen aufsuche, die mir erzählen, wie böse es mich doch erwischt hat. O ja, du hast ja sooooo recht, ich hoffe jeden Tag auf neue schlechte Nachrichten und neue Ankündigungen meines bevorstehenden Todes...joop, damit ich mich noch mehr in meinem Selbstmitleid aalen kann. Jetzt mal die Wahrheit: Du hast doch keine Ahnung von mir. Du weißt nicht, dass ich gerne lustige Emails rumschicke, mich mit Hans auch nur hinsetzen und über seine Probleme quatschen kann (ohne dass das Thema Krebs auch nur angeschnitten wird!), gerade ein schönes WE hatte, an dem ich fast gar nicht an meine Krankheit gedacht habe. Ich freue mich, dass ich ein so gutes Leben führe trotz dieser Scheißkrankheit, dass ich meine Kollegen sehe, dass ich morgen ins Kino gehen werde, dass die Sonne scheint, auf meinen Sport heute abend. Tja, jetzt kuckst, was? Passt nicht so schön in dein Bild der jammernden karin, was? Tja, sorry, kann ich dir leider auch nicht helfen.

Ich bin ein Mensch mit vielen Facetten: Eine ist lebenslustig, eine zeigt die Krebsseite, eine andere ist romantisch, eine wieder andere wütend.

Ich werde Hans mal einen Tip geben, dass er Post von dir hat. Vielleicht bestätigt er deine Ansicht, aber vielleicht auch nicht?

PS: Wenn ich irgendwo angesprochen werde, meinst du nicht, dass ich dann das Recht auf Antwort habe???
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