Einzelnen Beitrag anzeigen
  #8  
Alt 01.12.2004, 19:53
Gast
 
Beiträge: n/a
Standard es tut so weh...

Liebe Gaby, ich fange an.

Teil 1:
Die Namen - sind geändert.
Der Spielort - eine ehemalige sowjetische Republik, jetzt ein Krisenstaat,
in diesem Land bin ich nicht geboren, die Sprache verstehe ich kaum,
aber ich mag dieses Land, hier habe ich viele Freunde,
hier verbringe ich oft meinen Urlaub.
Ich versuche meine Geschichte auf Deutsch zu schreiben, da diese Sprache nicht meine Muttersprache ist, sind Fehler vorhanden.

14.09.03, Sonntag
Bin aus dem Urlaub zurück. Wie immer traurig. Der Urlaub war zu schnell vorbei, weinende Lora steht auch nach 3 Flugstunden vor meinen Augen. Sie ist meine beste Freundin, obwohl sie 17 Jahre älter ist.
Was soll’s, morgen muss ich um 6.00 Uhr im Büro sein, der Urlaub ist vorbei, und mein Mann hat heute Geburtstag!

26.09.03, Freitag
E-Mail von Lora: „Ich verschwinde für eine Weile. Sei nicht böse. Ich sag dir jetzt die Wahrheit, aber sei bereit, du wirst nichts Gutes erfahren. Ich hab Krebs. Anfangstadium. Ab Montag beginne ich eine Strahlentherapie in der Hauptstadt, 20 Sitzungen, dann Operation, dann... Die Ärzte sind optimistisch. Ich werde bei Tanja wohnen, möchte nicht im Krankenhaus bleiben. Stehe meiner Tochter bei, sie ist sehr tapfer, macht sich Sorgen, alles ist nicht leicht für sie...“
Wie Krebs?! Ich war doch vor 2 Wochen da!!! Es war doch alles in Ordnung!!!
Greife zum Telefon. Die Telefonverbindung funktioniert nicht immer, aber ich hab Glück und komme durch.
-Wie geht’s dir?
Lora weint nur. Ich hab nicht das Talent, die Leute zu beruhigen, bin maulfaul, ein Tatmensch eben. Was soll ich jetzt tun? Wie soll ich sie beruhigen? Hab keine Ahnung.
Sie erzählt mir alles. Wie sie den Knoten entdeckt hat... Wie sie am nächsten Tag beim Arzt war... Wie sie ihre Diagnose – Brustkrebs – gehört hat...
Sie erzählt, weint, beruhigt sich, erzählt weiter, weint schon wieder... Ich höre zu. Weinen kann ich nicht, eine soll „trocken“ bleiben, sonst kommen wir nicht weiter.
Ich verspreche ihr, dass wir alles schaffen, sie kann auf mich zählen, ich „spiele mit“. Sie weint schon wieder. Ich kann ihr nicht sagen „es wird alles gut“, da sie diesen Satz von allen Seiten hört und schon so richtig hasst.
Ich hab noch nie richtig gebettet, aber jetzt...
Lieber Gott, gib ihr Kraft!

Oktober 2003
Bin oft im Internet, lese sehr viel, weiß jetzt sehr viel, unterstütze mit meinem Wissen Lora, rufe sie mindestens ein Mal pro Woche an, wir sprechen lange miteinander. Es tut uns beiden gut. Die Strahlentherapie geht voran. Die Haare fallen. Die Tränen auch. Sonst ist alles - alle Untersuchungen, alle Werte - in Ordnung. „Ich wusste nicht, dass ich so gesund bin“, lacht sie am Telefon. „Nur dieser Knoten! Er ist so klein und doch so gefährlich!“, jetzt weint sie.
Die Brust wird amputiert. Es ist sehr schwer für Lora. Wird sie das akzeptieren? Hält sie alles durch? Wie kann ich ihr helfen? Bin mehr als 2000 km von ihr entfernt...
Mit Hilfe meines Arbeitskollegen – seine Frau arbeitet im Krankenhaus, Onkoabteilung – erfahre, dass die Operation in Deutschland ca 3700 EUR kostet. Der Chirurg sagt auch, dass die Operation brusterhaltend wäre.
Soll ich Lora das alles erzählen? Die Brust bleibt, schön. Was ist mit dem Krebs? Kann niemand was sagen, klar. Für mich ist eine Amputation lieber, es gibt keine Garantie, dass der Krebs verschwindet, aber trotzdem, falls er wiederkommt, kann ich mich nicht mit den Gedanken quälen, dass ich letztes Mal nicht alles versucht hab. Für mich, aber ist es auch für Lora lieber?
Am Telefon erzähle ihr alles. Sie wird nachdenklich. Nach 2 Tagen rufe wieder an.
- Und? Was denkst du? Kommst du nach Deutschland?
- Nein. Ich hab mit der Behandlung hier begonnen, also bringe ich alles hier zu Ende.
Es freut mich, dass zu hören.
- Ich möchte aber trotzdem bei dir sein!
Sie weint und sagt leise:
- Ich auch.
Das war’s.
Schicke meine Papiere nach Berlin zur Botschaft, brauche ein Visum, reserviere Tickets.
Bekomme meine Papiere zurück, ohne Visum!, abgelehnt, da mein Reisepass nur noch 3 Monate gültig ist, die wollen 6 (!) haben, Idioten! Macht nichts, ich hab Plan „B“. Laufe zum Ortsamt, beantrage einen neuen Reisepass, sogar zwei (vorläufigen und „normalen“), vorläufigen kriege sofort, am gleichen Tag schicke alles noch Mal nach Berlin.
Hab Erfolg, nach 3 Wochen hab mein Visum, Tickets waren schon früher da, kann fliegen.
Eine Tasche ist voll mit Medikamenten. Die Frau meines Arbeitskollegen hat sehr viel geholfen. Mit dem Rat und Tat. Hab auch bei der Apotheke was geholt.
Pflaster, elastische Bänder, Latex-Handschuhe, Hautdesinfektionsmittel, Schmerzmittel, Skalpelle, Fadenmesser, Mulldinger, weiß nicht, wie sie richtig heißen, Wundsalbe, noch 2 Dinger, sehen so wie kleine Pumpen mit einem dünnen Schlauch aus, weiß nicht, wozu die sind, aber ich nehme alles mit, was ich mitnehmen kann und darf. Hab mich auch bei der Fluggesellschaft erkundigt, was ich mitnehmen darf. „Im aufgegebenen Gepäck ist medizinisches Material aus Sicherheitsgründen erlaubt, nur im Handgepäck ist es verboten!“ so die Antwort. Freut mich sehr, packe alles in die Tasche.

15.11.03, Freitag
Fliege heute. Wann die Operation stattfindet, steht noch nicht fest. Mein Gefühl sagt mir 19 November. Schön wäre, wenn sie so bald wie möglich stattfindet, dann hab ich mehr Zeit für Lora. Hab nur 3 Wochen. Ich weiß, dass die Zeit im Krankenhaus sehr grausam wird, hoffe nur, dass ich bei ihr sein kann. Wenn ich nur die Möglichkeit hätte, bei Lora im Zimmer zu übernachten! Ich hab doch niemanden in der Hauptstadt, Tanja kenne ich nur am Telefon, hab kein Problem bei ihr zu wohnen, aber ich fliege zu Lora und ich hab versprochen, sie nie alleine im Krankenhaus zu lassen.
Krankenhaus... Wie wird das alles? Halte ich alles durch? Die Krankenhäuser sind sehr arm, das weiß ich. Aber man kann alles kaufen, in der Apotheke gibt es alles. Die Hygiene macht mir Sorgen und wie... Gibt es da Wasser? Auf warmes Wasser hoffe ich nicht, aber zumindest kaltes. Ist im Krankenhaus warm? Funktioniert die Heizung? Was ist mit Kakerlaken?
Hab so viele Fragen... Aber die wichtigste Frage – wird alles gut? – die stelle ich nicht. Denke nicht darüber. Ich hoffe und ich glaube...
Es gibt auch die anderen Fragen... Lora... Was ist mit ihren Haaren? Sieht sie jetzt anders aus? Werde ich sie am Flughafen erkennen? Darf ich sie umarmen? Darf ich sie fest an mich drücken? Ich hab sie so vermisst, aber tut ihr meine Umarmung nicht weh?...
Da ist Lora. Sie sieht mich nicht, sucht mich. Ich beobachte sie ganz genau. Sie sieht super aus. Die Haare sind auch da, genau so wie früher, sie hat mir Märchen erzählt! Ich rufe sie. Endlich sieht sie mich auch und strahlt, läuft zu mir und umarmt mich. Also, viele Fragen sind jetzt schon beantwortet. Lora freut sich riesig, dass ich da bin. Mir geht es genau so.
Abends erzählt sie mir alles von vorne, manchmal weint sie, ich höre nur zu.
- ...und die Brust ist weg. – beendet sie traurig ihre Geschichte.
- Was möchtest du dann haben?, - frage ich.
Sie guckt mich erstaunt an.
- Wie, was möchte ich dann haben?
- Ich weiß, dass du keine weiteren Operationen möchtest, um die Brust wiederherzustellen.
- Ja, das ist richtig, der OP-Tisch ist zu kalt, und weiter?
- Es gibt viele Brustprothesen...
Und ich zeige ihr, was ich über die Brustprothesen rausgefunden habe, mein Notebook hab ich mit, hab da auch viele Fotos, zeige alles, was ich hab. Jetzt bin ich die jenige, die redet und Lora hört zu. Und ich sehe in ihren Augen, dass meine Idee nicht schlecht ist. Zeige ihr, was für sie meiner Meinung nach am besten ist.
Sie fragt mich:
- Aber wie komme ich an so eine Prothese?
- Ich kaufe dir eine.
- Aber das Geld?
- Ich spreche nicht vom Geld, ich frag dich, ob du einverstanden bist?
- Aber die Größe?
- Du kennst doch deine Größe und ich dachte noch... Ich mache einen Abdruck von deiner Brust.
- Einen Abdruck, ja?
- Ja, aus Gips.
- Aus Gips, ja?
- Ja, ich hab im Fernsehen oft gesehen, wie man einen Abdruck vom Babybauch macht. Wieso soll das bei einer Brust nicht funktionieren?
- Wo nimmst du den Gips her?!
- Meine Liebe, ich hab 1 Kilo Gips mitgebracht. Bist du jetzt einverstanden, ja oder nein?
- Ja, du Trotzkopf! - sie lacht und weint zugleich, aber das sind ganz andere Tränen.
Mit Zitat antworten