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Alt 16.07.2004, 12:44
Gast
 
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Standard Wechsel vom Angehörigen zum Hinterbliebenen

Ich habe es zum Teil schon hinter mir und auch noch vor mir ...
Das Familiendesaster fing mit der Geburt meines Sohnes vor 3 Jahren an (Feb. 2001). Wir, Papa, Mutti und meine da schon seit ca. 19 J. leukämiekranke Schwester hatten uns wahnsinnig auf ihn gefreut. 12 Tage nach seiner Geburt starb ganz plötzlich und unerwartet mein Papa. 1en Monat später bekamen wir die Diagnose für meine kranke Mom "Steele-Richardsen-Syndrom" eine Mischung als Alzheimer, Parkinson mit Muskellähmung ...
Im April 2002 starb nach langem, schrecklichem Kampf mein Patenonkel (der Bruder meiner Mom) an Prostatakrebs. Ab Mai 2002 - Ende Juli 2002 lag dann meine Schwester im KH, den Toten näher als den Lebenden. Mit einem HB von 2,9 und ohne Leukos, zeitweilig kontra-isoliert und mit schwerer Gelbsucht aber mit einem unbändigen Lebenswillen hat sie den Sprung von der Schippe geschafft. Ich war jeden Tag bei ihr (100 km Hin-und-Zurück), es sei denn, sie konnte keinen Besuch ertragen. Diese Tage waren schlimm ! Ich mußte mich doch um meinen Sohn kümmern und lächeln, obwohl ich nicht wußte ob ich meine Schwester lebend wiedersehen werde.
Dann erkrankte der älteste Bruder meines Vaters an Hautkrebs und Ende Nov. 2002 erkrankte mein anderer Onkel (Mann der Schwester meiner Mutter) an Lungenkrebs. OP war nicht mehr möglich, also eine Chemo nach der anderen .... seit 1em Monat ist nur noch Narbengewebe zu erkennen.
Im März letzten Jahres hat sich der Zustand meiner Mom so verschlechtert, daß wir ihre Wohnung auflösen und sie in ein Pflegeheim "geben" mußten.

Zeitweilig macht es mich dieser Familienzustand wahnsinnig ...
So habe ich es trotz vergangener 3 Jahre nicht wirklich geschafft, den Tot meines Vaters zu verarbeiten. Für den Kleinen mußte ich funktionieren - da blieb die Trauer irgendwie auf der Strecke. Dadurch, daß ich meinem Sohn von seinem "Opa Wim" erzähle hilft es schon etwas aber irgendwo hängt noch etwas fest.
Als meine Schwester im KH lag, kam ich mir so quälend hilflos vor. Obwohl sie älter ist, hatte ich sie im Kindesalter immer verteidigt bzw. Schulkamaraden verhauen, wenn ihr einer weh tat. Jetzt konnte ich keinen verhauen, schuldig machen für das was passiert war - nichts tun - nur da sein. Und was passierte ?? SIE hat mich getröstet und mir Mut zugesprochen, als ich ihn ihrem Zimmer so fürchterlich weinen mußte. Oh Gott, ich hatte es nicht gewollt und wollte immer so stark sein - für sie, so wie in unserer Kindheit ! Auf der Hinfahrt eine Zigarette nach der anderen, im KH Lakritz in den Mund, vor dem Anklopfen an der Tür tief durchgeatmet und ein fast starres Lächeln aufgesetzt. Ich wußte ja nie, wie sie aussah - gelb, eingefallen, schwach ... schickte sie mich wieder heim, weil sie meinen Besuch nicht ertragen konnte ??
Ich weiß, daß diese Situation, von der sie sich jetzt sehr gut erholt hat, ganz schnell wieder kommen kann. Ihre Erkrankung ist in dieser Konstellation recht einmalig.
Ihre Krebsform ist nicht heilbar, weder durch Chemo noch durch eine KMT. Die Uni Düsseldorf hat bei ähnlichen Patienten 7 KMTs versucht - es hat keiner überlebt .... sie will auch nicht als Nr. 8 in die Statistik eingehen.
Sie hat ihre Beerdigung vorbereitet, die Musik ausgesucht und ich mußte ihr versprechen, daß einige gewisse Leute auf ihrer Beerdigung nicht zu erscheinen haben.
Sie hat mir auch das Versprechen abgenommen, sie von dort "abzuholen" wohin sie sich zum Sterben evtl. zurück ziehen wird.

Ich bete jetzt schon, daß ich irgendwie die Kraft finden werde, sie eines Tages gehen zu lassen.

Seaman
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