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Alt 05.07.2002, 09:31
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Standard Forum für Angehörige UND Betroffene

Guten Morgen, Ihr alle

Hallo Bettina, dieses "viele Nachholen", wie Du es beschreibst, das hatten wir schon mal diskutiert (in den Sparten "Sie will dass ich gehe" oder "Ihr armen Angehörigen"). Da ist ein Zeitdruck, den DU kennst (aber nicht so genau Dein Vater), und Du willst noch einiges klären, sagen, ... wie auch immer.
Das IST schwer, aber man MACHT es sich damit auch sehr schwer. Hier möchte ich noch einmal erwähnen, dass ein Krebspatient sehr wohl WEISS, dass es nicht so hundertprozentig GUT um ihn steht. Die Chance, Dinge zu sagen und zu klären, ist also DA.
Die Frage ist jedoch: WAS will noch gesagt sein, WAS will noch geklärt sein?
Willst Du Deinem Vater sagen, dass Du ihn lieb hast? - Dann sag es ihm.
Willst Du Deinem Vater sagen, dass Du dies oder jenes bereust? - Dann sag es ihm.
Willst Du Deinem Vater sagen, dass Du ihm für irgend etwas verzeihst? - Dann sag es ihm.
Geht's noch um Erbangelegenheiten? - Dann sag es ihm besser NICHT!
Geht's um Vorwürfe an Deinen Vater, Dinge, die DU nie so richtig verdaut hast? - Dann sag es ihm NICHT!
Und wenn es nicht klappt, ihm dies direkt in Worten zu sagen, so versuche es mit einem lieben Brief. Du darfst ihm ruhig sagen, dass Du Angst um ihn hast, er wird das verstehen.
(Gott, ich wäre wahrscheinlich froh, würde MIR mal jemand von meinen Angehörigen sagen, er hätte Angst um mich! Aber bisher hat das noch keiner zu mir gesagt! - Ist doch eigentlich auch frustrierend, oder?)
Verstehst Du? Wähle Worte, die nicht einen direkten Abschied bedeuten. Aber Worte, die Du schon längst hast sagen wollen.
Meine Mutter starb damals an Leukämie, als ich etwa 27 war. Sie kämpfte zwei Jahre mit dieser Krankheit, mit der Chemo. Ich wusste damals auch nicht, wie ich damit umgehen sollte. Irgend etwas trieb mich eines Tages dazu, ihr einen Brief zu schreiben. (Sie lebte damals in Mannheim) Ich schrieb ihr, was ich dachte, was ich fühlte, und dass ich ihr VERZIEH, weil sie mich als Kind immer geschlagen hatte. - Sieben Tage später ist sie gestorben. Sie hatte meinen Brief noch gelesen. Vielleicht hatte sie bloss darauf gewartet, DASS ihr jemand verzieh?
Ich werde es wohl nie wissen, trotzdem waren die Dinge hinterher für MICH einigermassen geklärt. Denn da war plötzlich ein riesiges Stück Wut auf sie einfach verschwunden!
Vergessen kann man nie. Aber man kann verzeihen.

Ich weiss ja nicht, welche Dinge DU klären möchtest, liebe Bettina, aber ich glaube, Du verstehst schon irgendwie, was ich meine, gell? Wenn so wichtige Dinge noch geklärt und gesagt werden müssen, wenn dieser Druck so heftig da ist, ... dann bedeutet es ja auch nur, dass man diese Dinge schon LANGE hätte klären müssen.
(Genau so wie ich die Sache mit meiner Schwester heute klären müsste, hm-hm! Bevor IHR mal was zustösst! - Eigentlich wäre es an IHR, die Sache mit MIR jetzt zu klären, aber auf diese Idee kommt sie eben schon gar nicht!)
Ich wünsche Dir jedenfalls ganz, ganz viel Kraft dazu.

Hi Jacqueline! Bin natürlich gleich auf Deine Homepage geruckt und hab' da rein gelesen. Eine wirklich sehr schöne Seite, und auch mir sass ein dicker Kloss im Hals. Du bist eine wundervolle Mutter, Jacqueline, und Du bist es auch für Deine beiden anderen Kinder. Die Zeit wird es Dir zeigen, Du wirst sehen.

Du bist aus der Schweiz, gell? - Sali! Grüezi!
Ich verstehe, was Du meinst, mit der zeitlichen Prognose, um alles im Leben noch einschätzen zu können. Ich denke, das ist bestimmt auch in Ordnung so, gerade für Eltern, deren Kind krank ist.
Es ist wohl immer eine Sichtweise des Ganzen, WIE man es betrachtet und was man daraus noch machen kann.
Ich selber sehe es wohl auch hauptsächlich von meiner erwachsenen, krebsbetroffenen Seite. Es ist bestimmt ein Unterschied, wenn man als Erwachsener von seinem Arzt selber so eine zeitliche Todesprognose bekommt (denn dann trifft es einen ja beim eigenen Leben),... oder ob Eltern so eine Prognose über ihr Kind erfahren, ... oder ob Angehörige es über ihren Vater oder Mutter erfahren.
Als erwachsener, SELBST-BETROFFENER damit umgehen zu müssen, ist aber schon grausam! Denn wir müssen das mit unserem erwachsenen Verstand begreifen, verstehen und verarbeiten, was wir kaum wirklich können, wenn es ja um das eigene Leben geht. Wenn mir ein Arzt sagen würde, ich hätte noch exakt ein Jahr, ... wäre dies mein eigenes Todesurteil! Ich würde zwar heftig dagegen ankämpfen, würde mir immer wieder sagen, diese Prognose KANN nicht sein, der Arzt hat UNRECHT, ... aber seine Aussage alleine wird mir IMMER im Kopf herum schwirren, ich werde es NIE vergessen können. Meine Angst wird um so schlimmer sein, meine Panik, noch dieses und jenes schnell zu tun, ...
Denk ich mal. Vielleicht werde ich aber auch gaaaaanz ruhig und gelassen? - Ich weiss es nicht. Ich schätze jedoch, es wird dann eher noch schlimmer. Ich bin daher lieber dafür, den Augenblick zu leben und zu geniessen, ohne zu wissen, WANN es soweit sein wird. Der Tag X.
Mir reicht schon das Wissen darüber, DASS ich Krebs habe, DASS mein Leben allenfalls schon gekürzt ist, und damit muss ich lernen zu leben. Das ist schon anstrengend genug, hm-hm.

Liebe Jacqueline, bleib doch noch ein Weilchen hier bei uns.
Ganz liebe Grüssli
vom "krassen" Känguruh
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